Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 17, S. 660

Der Petschenjeg (Tschechow, Anton)

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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 17, S. 660

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660 TSCHECHOW.

schwüle Zimmer mit niederen Decken und einer Menge Fliegen und
Wespen — in der zweiten befand sich die Küche, in der man kochte,
die Wäsche wusch und den Arbeitern zu essen gab; daselbst brüteten
unter den Bänken Gänse und Truthennen ihre Eier und ebenda befanden
sich die Betten der Ljubow Ossipowna und ihrer beiden Söhne. Die
Möbel im Salon waren ungestrichen, offenbar von einem Schreiner
zurechtgezimmert; an den Wänden hiengen Flinten, Jagdtaschen,
Peitschen; dieser ganze alte Plunder war schon längst verrostet und
schien vor Staub grau zu sein. Kein einziges Bild, in der Ecke ein
dunkles Brett, das einst ein Heiligenbild gewesen war.

Eine junge Frau, eine Kleinrussin, deckte den Tisch und trug
Schinken auf, dann einen Borschtsch. Der Gast dankte für den Schnaps
und begann nur Brod und Gurken zu essen.

— Und wie wär’s mit dem Schinken? — fragte Schmuchin.

— Danke, das esse ich nicht — erwiderte der Gast. — Ich
esse überhaupt kein Fleisch.

— Warum denn?

— Ich bin Vegetarianer. Thiere zu schlachten ist gegen meine
Überzeugung.

Schmuchin dachte einen Augenblick nach und sagte dann lang-
sam, mit einem Seufzer:

— Ja So ist’s In der Stadt hab’ ich auch einen ge-
sehen, der kein Fleisch isst. Das ist jetzt so eine neue Religion. Nun,
das ist gut. Man kann auch nicht immer schlachten und schiessen,
wissen Sie, man muss einmal zur Ruhe kommen und die Thiere in
Frieden lassen. Es ist eine Sünde zu tödten, eine Sünde — da lässt
sich nichts dagegen sagen. Manchmal, wenn man nach einem Hasen
schiesst und ihn am Fuss verwundet, schreit er wie so ein Kind.
Es thut also weh!

— Natürlich thut’s weh. Die Thiere leiden ebenso wie Menschen.

— Das ist richtig, gab Schmuchin zu — ich verstehe das
Alles sehr gut, setzte er fort und dachte nach — aber ich muss
eingestehen, dass ich nur das eine nicht begreifen kann: angenommen,
dass alle Menschen aufhören Fleisch zu essen, wo werden dann die
Hausthiere hinkommen, zum Beispiel die Hühner und Gänse?

— Die Hühner und Gänse werden in der Freiheit leben, wie die
wilden Vögel.

— Jetzt verstehe ich. In der That, die Krähen und Dohlen
leben ja und kommen ohne uns aus. Ja die Hühner und Gänse,
die Häschen und Schäfchen werden alle in der Freiheit leben, sich
freuen, wissen Sie, und Gott lobsingen und werden sich nicht vor uns
fürchten. Es wird Frieden und Ruhe eintreten. Aber wissen Sie, ich
kann das eine nicht begreifen, sprach Schmuchin weiter und
blickte auf den Schinken. — Wie soll es mit den Schweinen sein?
Wo soll man sie hingeben?

— Sie werden ebenso wie die anderen sein, das heisst auch
sie werden in der Freiheit sein.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 17, S. 660, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-17_n0660.html)