Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 17, S. 661
Text
— So Ja Aber erlauben Sie, wenn man sie nicht
schlachtet, werden sie sich vermehren. Dann kann man von den
Wiesen und Gemüsegärten Abschied nehmen. Denn wenn man so
ein Schwein in die Freiheit lässt und es nicht beaufsichtigt, wird es
Ihnen an einem Tage alles zugrunde richten. Ein Schwein bleibt
ein Schwein und man hat es nicht ohne Grund Schwein benannt.
Man hatte zu Ende gegessen. Schmuchin stand auf und gieng
lange im Zimmer herum, wobei er immer sprach und sprach
Er liebte es von etwas Wichtigem und Ernstem zu sprechen und
liebte es zu grübeln; auch wollte er auf seine alten Tage bei irgend etwas
stehen bleiben, sich beruhigen, damit es nicht so schrecklich sei zu sterben.
Er trug nach Sanftmuth, nach Seelenruhe und Selbstzufriedenheit Ver-
langen, wie bei diesem Gast, der Gurken und Brot gegessen hat und
denkt, er sei dadurch noch vollkommener geworden; gesund und wohl-
genährt sitzt er auf dem Koffer, schweigt und erträgt geduldig die Lang-
weile und wenn man ihn in der Dämmerung vom Vorzimmer aus
anschaut, ähnelt er einem grossen Kieselstein, der nicht vom Platze zu
schieben ist. Der Mensch hat einen festen Punkt im Leben und ihm ist wohl.
Schmuchin trat aus dem Vorzimmer auf die Stiege hinaus und
dann hörte man ihn seufzen und in Gedanken zu sich selbst sprechen:
»Ja so ist’s«. Es dunkelte schon und am Himmel erschienen
hie und da Sterne. In den Zimmern zündete man noch kein Licht an.
Jemand trat lautlos wie ein Schatten in den Salon und blieb an der
Thür stehen. Das war Ljubow Ossipowna, Schmuchins Frau.
— Sind Sie aus der Stadt? — fragte sie schüchtern, ohne den
Gast anzublicken.
— Ja, ich lebe in der Stadt.
— Vielleicht sind Sie ein Studierter und können sagen, wie
man’s macht. Wir hätten eine Bittschrift einzureichen.
— Wohin? — fragte der Gast.
— Wir haben zwei Söhne und es ist längst Zeit, sie etwas lernen zu
lassen, zu uns kommt aber niemand und man hat niemanden, den man um
Rath fragen kann, und ich weiss nicht Bescheid. Denn, wenn sie nicht
lernen, nimmt man sie wie einfache Kosaken zum Militär. Es ist
nicht recht, sie können nicht lesen, schlimmer wie die Bauern, und
Iwan Abramitsch nimmt selbst Anstoss daran und lässt sie nicht
in die Zimmer hinein. Sind sie aber schuld daran? Wenn man auch
nur den Jüngeren lernen lassen könnte, wirklich, sonst ist es so
schade! — sagte sie gedehnt und ihre Stimme zitterte; und es schien
unglaublich, dass eine so kleine und junge Frau schon erwachsene
Kinder hatte. — Ach es ist so schade!
— Du verstehst nichts davon, Mutter, und das geht Dich nichts
an, sagte Schmuchin, der in der Thür erschien. — Lass’ den
Gast mit Deinem dummen Reden in Ruh! Geh fort, Mutter!
Ljubow Ossipowna gieng hinaus und wiederholte nochmals im
Vorzimmer mit ihrer dünnen Stimme:
— Ach, so schade!
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 17, S. 661, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-17_n0661.html)