Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 17, S. 672

Der Petschenjeg (Tschechow, Anton)

Zum TEI/XML Dokument

Faksimile

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 17, S. 672

Text

672 RITTINGER.

weniger hervortritt — ist der ausgesprochene Erdgeruch, der schliesslich
das eigentliche Ziel der französischen Realisten geworden ist und
Wiener Bildern desselben Gegenstandes vollständig abgeht. Für den
Franzosen ist die Natur eben etwas ganz anderes als für uns oder
gar für den Engländer, den Schwärmer für country houses, der das
rauchige und lärmende London flieht, um draussen etwas zu finden,
was erfreut und des Genusses wert ist. In Frankreich ist die ganze
grosse Natur einfach »la terre« und damit ist alles gesagt. Sie hat
die materielle, zeugende Kraft des Düngers, denn der Dünger ist das
Leben der Erde, und was darüber hinausliegt, ist Unsinn und alter
Schwindel. Ein Vergleich von Duprés Bild mit dem von Davis in,
der englischen Abtheilung wird das Gesagte erläutern. Das heitere,
intime Leben in dem Bilde des Engländers und die starke, derbe
Naturkraft in dem des Franzosen. Man sehe sich nur das Paar Ochsen
auf Duprés Bild an, wie famos die gemalt sind. Alles, was sich für
uns mit dem Begriffe des Rindes, des stumpfen Wiederkäuers ver-
bindet, ist da wiedergegeben mit derselben bewunderungswürdigen
Schilderungskraft, in der Zolas Romane geschrieben sind, aber von
den kleinen, erfreuenden Stimmen der Natur ist nichts darin zu finden.
Gross, breit und schwer ist der Naturalismus der Franzosen, klein, intim
und freudig der der Engländer.

Binet, der in demselben Saale ausgestellt hat, gehört eigentlich
schon nicht mehr zu diesen echten Naturalisten von Barbizon, wie
denn überhaupt für die tausend Richtungen der französischen Kunst
viel schwerer der einheitliche Grundaccord sich finden lässt, als für
die grosse, nationale der Engländer. Binet bildet schon den Über-
gang zu jener eigenartigen nordfranzösischen Gruppe der Bretons,
er sucht in seinen Bildern die »Stimmung«. Dabei steht er aber durch-
aus auf naturalistischer Grundlage, sogar viel ausgesprochener als
Dupré, und arbeitet seine Stimmungen lediglich in den cruden Farben
und dem breiten Impressionismus der Roll, Manet etc. Seine Stimmungen
bleiben uns Wienern darum auch meistens unverständlich. Die Mache
ist zu roh, zu derb und hindert uns, das zu sehen, was hinter der
Mache ist. Wer von uns empfindet vor Binets röthlich übertünchtem
Bilde die Poesie des hereinbrechenden Abends? Und doch ist Binet
unter den französischen Naturalisten Stimmungsmaler par excellence,
der Maler des Herbstes, der fallenden Blätter, der wogenden Korn-
felder und der unklaren Dämmerungen an der Neige des Tages. Diese
Stimmungsmalerei werden wir Wiener aber solange nicht verstehen,
als bei uns alle Stimmung ausnahmslos das Monopol der Glätte und
Gefälligkeit ist.

Ein anderer Maler, der eine Richtung gegründet hat, die parallel
mit dem Naturalismus von Barbizon läuft und eigentlich die Kunst
im zweiten Kaiserreich ausmacht, ist der Elsässer Henner, der gleich-
falls im Künstlerhaus ausgestellt hat. Er ist es, der als erster — die
verkannten Versuche Prudhons abgerechnet — die in der französischen
Kunst so tief eingewurzelte Nacktmalerei wieder ins Leben gerufen

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 17, S. 672, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-17_n0672.html)