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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 18, S. 696

Text

696 SCHMITZ.

an der ich wie ein Sclave vor Dir liege,
gefesselt, plump und schwer, der braune Sohn
der Erde. Oder sah ich falsch, entstiegest
des Baumes Dunkel Du, ist Daphne,
der Lorbeer wieder Weib geworden, beut
mir eine Lust, die sie Apoll versagte?

Horch, wie der Schlummer der Hamadryaden
uns rings umathmet, wie im stillen Mittag
ein jeder Tropfen, der des Brunnens Mund
entfällt und in die Muschel trieft, ein Wort
geheimnisvoll und licht zu flüstern scheint.
O möge jeder ein Geschwister sein
von unseren Küssen, lass der Lippe Brand
mich löschen an der Schale Deiner Reize;
und was der heisse Morgen in mir reifte
dem Schweifenden, dem Dürstenden, sei Dir,
sei Deinem Schoss vertraut.

Schon kannt ich Dich
und Deine Stimme. Hast Du nicht am Fest
des Gartengottes, als dem Bett des Gatten
Eos noch nicht entfloh’n, am Bache früh
das Syrinxrohr geblasen? War an jenem
beglückten Tage nicht der Hündin Brunst,
der Taube Rufen und der Käfer Leuchten
von Deinem Lied ein schwaches Widerspiel?
Bist Du es nicht, die mich erbeben lässt,
wenn in dem Lorbeerhain ich früh erwache,
verwirrend Seufzen in den Blättern lockt
und sanfte Lüfte mir wie Nymphenlippen
den Leib umkosen? Wenn die Sternenblumen,
die weissen, um mein Lager starren, sind es
die kühlen Brüste Deiner Jungfrau’nschaft,
die bebend sich zu meinem Antlitz recken,
bis sie mein Bart gestreift; auch heute suchte
ich Dich, auch gestern, werde morgen Dich,
in jeder Welle Deiner Hüfte Schwung
zu sehen wähnen, jedes Mooses Flaum
lockt mich zum Kusse, mahnt an Deinen Schoss
und an die Rose, die er tief verbirgt.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 18, S. 696, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-18_n0696.html)