Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 18, S. 702
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englische Kunst noch mehr durch ihr Ornament als durch ihren
allgemeinen Charakter wirken.
Man hatte sich ja bei uns schon lange abgemüht die Fülle der
Pflanzenwelt der Decoration dienstbar zu machen, aber ohne rechten
Erfolg. Meurers mathematische Vergewaltigung der Natur konnte
Künstler nicht begeistern, und Seders Vorlagenwerke waren trotz
vieler hübscher Einzelnheiten doch zu kleinlich. Mit schrecklicher
Ängstlichkeit sind bei ihm immer auf ein Blatt Dutzende von Motiven
vereinigt, um nur ja alle starke Wirkung auszuschliessen. Um so ver-
blüffender und fortreissender wirkten die englischen Muster. Riesig
grosse Blumen mit wenigen Strichen gegeben, ohne Rücksicht auf
Naturwahrheit, nur in drei oder vier feingestimmten Farben, weithin
zu sehen, von starker Wirkung und endloser Mannigfaltigkeit. Das
packte, stachelte an, revolutionierte. Die Nachahmung blieb nicht aus,
theils sclavisch, theils frei. Das Blümchenwesen gedieh vortrefflich und
jetzt gibts hier kaum einen Stubenmaler, der nicht in englischer Manier
die Zimmer ausmalte.
Es wäre aber thöricht in der Nachahmung der englischen Ar-
beiten das letzte Ziel zu sehen, wir haben andere und neue Aufgaben,
zu denen uns die englische Kunst nie führen könnte. So viele Anregung
wir ihr auch verdanken, sie ist begrenzt und zwar gerade an Stellen,
wo unser deutsches Begehren über das englische hinausgeht. Die
englischen Pflanzen sind durchwegs nach einem Schema stilisiert.
Immer und überall kehren die weichen und schwächlichen Linien
wieder, gleichgiltig ob das Naturvorbild hart, wuchtig oder zierlich
war. Ein überaus charakteristisches Beispiel findet sich im Voysey-Heft
der »Decorativen Kunst«, Seite 278/79. Eine Originalzeichnung Voyseys
nach der Natur und die Stilisierung des Motivs. Dort alles charakte-
ristisch, spitz, lebendig bewegt, hier weichlich, todt und schal. Dieser
Fehler geht durch die ganze englische Kunst. Überall Weichlichkeit
und Schwäche. Mein Vorwurf richtet sich aber nicht gegen das Un-
realistische des Verfahrens, sondern nur gegen den Mangel an Nuancen.
Ein Formkünstler muss eben imstande sein, je nach dem Zweck bald
diesen, bald jenen Charakter zu geben.
Ausserdem bleibt das englische Ornament fast immer in der
Ebene, darum fehlt es an einem eigentlichen Möbel- oder Architectur-
ornament. Denn bei einem Möbel oder Gebäude kommt es ja fortwährend
darauf an, die im Winkel aufeinanderstossenden Flächen und Linien
durch Ornamente ineinander überzuführen. Der Engländer aber lässt
alles rechteckig gegeneinanderstossen, vermeidet womöglich jede ge-
bogene Fläche, sodass alles eine gewisse vornehme aber kühle Nüchtern-
heit bekommt. Das Ornament wächst nicht aus dem Möbel heraus,
ist nicht ein nothwendiger Bestandtheil desselben, sondern wird darauf
gelegt und kann entfernt werden, ohne das Möbel wesentlich zu
verändern.
All diese Einseitigkeiten liegen uns nicht, wir lieben kräftige,
plastische Formen und reicheren Schmuck. Mag sich der englische
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 18, S. 702, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-18_n0702.html)