Faksimile

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 19, S. 733

Text

KARL WILHELM DIEFENBACH.
Von FIDUS (Berlin).

In Nr. 14 der »Wiener Rundschau« hob Wilhelm Spohr in einem
Aufsatze über mich die Zeichnung »Tänzer« aus meinen Erstlings-
arbeiten besonders lobend hervor. Er vergass dabei zu erklären, dass
dies Blatt, wie er auch wusste, zwar ganz von mir erfunden und aus-
geführt, aber doch dem Geiste Karl Wilhelm Diefenbachs sein Entstehen
verdankte. Spohr wies zwar unmittelbar danach darauf hin, wie meine
Schülerschaft zu Diefenbach von Segen für meine künstlerische Ent-
wicklung gewesen ist; aber ich möchte doch die Gelegenheit dieser
»Berichtigung« benützen, um mich über Diefenbach und mein Ver-
hältnis zu ihm zu äussern.

Die »Tänzer« bilden einen Höhepunkt in dem Weiss-Silhouetten-
Cyklus »Kindermusik«, einem Zeichen werke, an dem Diefenbach
schon seit seinen Jugendjahren entwickelnd gearbeitet hatte. Als ich
im Sommer 1887 zu ihm gieng, fand ich die »Kindermusik«, eine
wunderbare Reihe musicierender und tanzender Kindergestalten, schon
fast fertig, aber sozusagen der Reinschrift harrend, vor. Was ich da
sah, war mir etwas Unerhörtes und doch so ganz Selbstverständliches,
aus der Seele Gesprochenes. Diese Gestalten waren poetische Gebilde,
in denen die musikalische Urkraft Böcklins, die keusche Lieblichkeit
Schwinds und die stilistische Einfachheit und Eleganz der Prärafaëliten
sich natürlich vereinigten. So müsste ich als Kritiker sprechen; als neuer
Mensch finde ich überhaupt keinen Vergleich zu diesem Werke, das
der neuen Seele zum erstenmale einen bewusst-formenschönen Ausdruck
gab — in einem zukunftsheiteren Stile, gegen den selbst die Weisen
der Genannten mir noch mittelalterlich engbrüstig erscheinen. Und
das zu einer Zeit, wo Deutschland Akademie wie »Moderne«, jede in
ihrer Weise, die Künstler mit ödester Pedanterie terrorisierte, in der
es nicht erlaubt schien, als Maler ein Dichter zu sein — und von
einem Deutschen, der seine unerhört moderne Kunst nicht, wie seine
Landsleute zumeist jetzt noch, an seiner internationalen, fachsimpelnden
Kunstabspickerei destillierte, sondern der, verstrickt in allen möglichen
Reformbestrebungen des geistigen und praktischen Lebens, kaum
Ruhe fand, der Kunst als überzeugendstem Ausdrucksmittel seiner
Lebensanschauung sich hinzugeben. — Das zwischen ihm und der
gesammten Künstlerschaft beider Lager kein Zusammenhang war, ist
natürlich — ich fand es damals empörend und unbegreiflich, dass
sich um diesen Mann kein Münchener Künstler kümmerte, nicht ein-
mal als um ein Studienobject. Und meine Verachtung gegen ein Künst-

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 19, S. 733, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-19_n0733.html)