Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 19, S. 734
Wilhelm Diefenbach (Fidus, Karl)
Text
lerthum, das an »Diefenbach« als Gesammterscheinung vornehm vor-
übergeht, ist mir geblieben, obgleich ich einsehe, dass selbst seine
Verehrer und Hilfsbeflissenen wohl Recht behalten werden, wenn sie sagten,
dass mit Diefenbach »nichts zu machen«, d. h. nichts Positives zu
gutem Ende zu führen sei.
Diese Tragik in Diefenbachs Persönlichkeit ist eine richtige antike
Schicksalstragik — auch hier ist er wieder nicht »modern«. Ist schon
jedes bedeutende Künstlerschicksal ein Va banque-Spiel höherer Mächte
mit einer grossen Menschenseele — bei Diefenbach ist es ein ent-
schieden unglückliches. Von Jugend an infolge seines selbständigen
Geistes mit seiner nächsten Umgebung im Zwiespalt, wurde er in der
Folge durch schwere Krankheiten und daraus entstammendem Siech-
thum von dieser Umgebung körperlich immer abhängiger. Eine Ver-
krüppelung seines rechten Armes machte ihm gerade seine künstlerische
Arbeit schwer. Seine Pflegebedürftigkeit verwickelte ihn in eine un-
glückliche Ehe, die ihm auch noch den Rest von Seelenmusse raubte.
Seine reformatorischen und für ihn hygienisch wichtigen Lebens-
gestaltungen bei gänzlicher Mittellosigkeit zwangen ihn in peinliche
Lagen und polizeiliche Conflicte, aus denen er sich nur durch öffentliche
Kundgebungen und Reden, sich rechtfertigend, retten zu können glaubte.
Alles untergrub natürlich seine künstlerische Arbeitskraft und -Fähigkeit
immer mehr. Aus diesem Grunde konnte er auch seine unzähligen
Entwürfe nicht ausführen, und selbst die »Kindermusik« war technisch
noch mangelhaft. Die diesem Werke harrende »Reinschrift« und Voll-
endung geschah, so gut es damals eben gehen wollte, durch meine
Hand, sozusagen unter dem Dictat Diefenbachs. Vom Lager aus, sei
es im Hause oder auf der Gartenterrasse der Einöde Höllriegels-
Gereute bei München, leitete er die Entwicklung des Werkes, zu
dem mir die im Freien nackt spielenden Kinder herrliche Modelle
abgaben. Aus demselben Grundgedanken erwuchs unter gleicher
Arbeitstheilung der 70 Meter lange Schwarzsilhouettenfries »Per aspera
ad astra«, ein visionärer Jugend-Festzug, bei dessen Einordnung
Diefenbach nach Kräften selber Hand anlegte. Derselbe erschien
später bei V. A. Heck in Wien in Albumform, mit Text von Diefen-
bach; einen Auszug davon malte ich elfenbeinfarben auf schwarz an
die, Wand eines Münchener Bierlocals in der Jägerstrasse, wohin
Diefenbach u. a. seine Kunst deplacieren musste.
Dass Diefenbach allmählich durch äussere und körperliche
Behinderung in künstlerischer Arbeit auch technisch zurückkam und
in seinem abenteuerlichen Schicksal keine Ruhe und Kraft zum stillen,
Studium zurückerobern konnte, ist seine Tragik. Andere werden wohl
das verwirklichen, was er zu früh für seine Zeit, zu viel für seine
Kraft gewollt hat: eine neue Cultur im Zeichen der Schönheit.
Es ist nicht wahr, dass dieses Wollen schon längst eine allgemeine.
Sache sei, Ich finde in der ganzen jüngsten Kunst der Erde erst ganz
schüchterne Ausblicke auf die sieghafte Schönheit, wie sie Diefenbach
wollte und zum Theil in Kunst oder Leben schon andeuten konnte.
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 19, S. 734, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-19_n0734.html)