Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 21, S. 786
Text
Psyche, Psyche! Wo sind deine Augen — meine Sterne?
Wo ist der erloschene Stern deiner Schönheit, dessen ge-
heiligter Name war: »Elisabeth« — — — —?
Verlassen lieg’ ich auf dem dämmerigen Strande der
Klagen Philoktetes! Philoktetes!
Warum diese Schauer der Myrten und Rosen? Der Flügel-
schlag meines irrenden Geistes über den Wellen ist es, der die
einsamen Rosen und Myrten des Strandes erschauern macht
Aber Astarte hängt bleich und müde am Himmel. Wehe! Der
Himmel ward zu Asche, und alle die Blätter der Bäume wurden
zu Asche, und krümmen sich wie im Schmerze, und nur die
Cypressen wachsen und wachsen wie schwellende Seufzer
immer wieder Seufzer, Seufzer Und die langen Wogen rollen
heran, anschreiend den Strand, und bringen weisse Schaumblumen
ihrer Klagen, wie um mich zu trösten Und die weichen Winde
wehen wehklagend über die klagenden Wogen Und die
Klagen der Wellen und der Winde singen nur das eine Wort:
Nie! nie! nie!
Warum nie? Warum nie? Ist es möglich, nie?
Antworte du, mein Herz, das so einsam und so entfernt
pocht in meiner Brust, wie in einem geschlossenen Grabe
Ihr Blätter, was krümmt ihr euch wie im Schmerze, immer
und immer? Wogen der Trauer, ihr schwellet zu Bergen in euerer
Klage und schlaget über meinem Haupte zusammen und lechzet
zum Himmel hinan, wo die bleiche Astarte (ach, noch immer!)
weisse Arme ausbreitet und ihren Haarschleier tief hinab, in
das Meer der Verzweiflung fallen lässt Nein, es gibt keine
Meeresstille des Vergessens mehr! — Höre, meine Seele! Höre, höre,
meine Seele! Nein, es gibt keinen See der Lethe, auf diesem
Planeten für mich mehr! — — Ganz aufgetrunken haben ihn die
Veilchen und die Hyakinthen deiner Haare, wie Thau, meine
Seele! — Nur den Schlamm des namenlosen Wehes haben sie
mir gelassen, damit ich mich darin vergrabe, meine Seele!
Namenlose Angst, meine Seele, rollt wie ein schwerer, immer
wiederkehrender Stein mir über die Lider Endlose Trauer,
meine Seele, überfliesst aus meinem Herzen
Weh! weh! weh! — dass die goldene Schale zerbrochen,
worin die Strahlen der Schönheit zusammenflössen Nun
träufeln sie herab, die unsterblichen Thränen der Sterne, herab
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 21, S. 786, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-21_n0786.html)