Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 21, S. 813

Aus den Aufzeichnungen über den amerikanischen Bürgerkrieg (1861—64) (Whitman, Walt)

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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 21, S. 813

Text

AUS WALT WHITMANS AUFZEICHNUNGEN
ÜBER DEN AMERIKANISCHEN BÜRGERKRIEG (1861—65).
Übersetzt von Karl Federn.
(Fortsetzung.) An der Front.

Falmouth in Virginia, gegenüber von Fredericksburg, 21. De-
cember 1862
. — Beginne meine Besuche in den Feldlazarethen der
Potomac-Armee. Verbringe einen guten Theil des Tages in einem weiten
Ziegelgebäude an den Ufern des Rappahannock, das seit der Schlacht
als Lazareth verwendet wird — scheint nur die schlimmsten Fälle
aufgenommen zu haben. Vor den Thüren, am Fusse eines Baumes,
keine zehn Ellen vom Hause entfernt, liegt ein Haufen amputierter
Füsse, Schenkel, Arme, Hände etc., eine genügende Ladung für einen
einpferdigen Karren. Einige Leichname liegen in der Nähe, jeder mit
seinem braunen, wollenen Tuche zugedeckt. Im Thorhof gegen den
Fluss sind frische Gräber, meist von Officieren, die Namen auf Stücke
von Fassdauben oder zerbrochenen Brettern geschrieben, die im Kothe
stecken. (Die meisten dieser Leichen wurden später aufgehoben und
nach dem Norden zu ihren Freunden transportiert.) Der weitläufige
Bau ist gesteckt voll, oben und unten, alles improvisiert, kein System,
alles schlecht genug, aber zweifellos das Beste, was sich thun liess;
alle Wunden recht arg, einige fürchterlich; die Leute in ihren alten
Kleidern, unsauber und blutbefleckt. Einige der Verwundeten sind
gefangene Rebellen, Soldaten und Officiere. Einer davon, ein Mississipier,
ein Hauptmann, schlimm am Fusse verwundet; ich sprach mit ihm
eine Zeitlang; er bat mich um Zeitungen, die ich ihm gab. (Ich sah
ihn drei Monate später in Washington, den Fuss abgenommen, sonst
wohl.) Ich gieng durch die Räume, oben und unten. Einige der Leute
waren im Sterben. Ich hatte nichts zu geben bei diesem Besuch,
schrieb aber ein paar Briefe an ihre Leute zu Hause, Mütter etc.
Sprach auch mit drei oder vieren, die dafür am meisten zugänglich
oder darnach bedürftig schienen.

Nach der ersten Schlacht von Fredericksburg.

23. bis 31. December. — Die Resultate der letzten Schlacht sind
überall sichtbar in der Umgegend in tausenden von Fällen (hunderte
sterben täglich hin) in den Feldlazarethen, den Brigade- und Divisions-
spitälern. Es sind nur Zelte und oft recht armselige; die Verwundeten

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 21, S. 813, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-21_n0813.html)