Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 21, S. 815
Aus den Aufzeichnungen über den amerikanischen Bürgerkrieg (1861—64) (Whitman, Walt)
Text
essen könnte. Aber auch dieser gute Secessler änderte die Lage
unseres Soldaten nicht, weil durch die Bewegung das Blut aus den
verklebten und gestockten Wunden hätte brechen können. Unser
Soldat ist aus Pennsylvania, hat eine recht arge Zeit hinter sich,
denn die Wunden erwiesen sich als schlimme. Ist aber guten
Muthes geblieben und es geht jetzt aufwärts mit ihm. (Es ist nichts
Ungewöhnliches, dass da Leute in dieser „Art auf dem Felde bleiben,
ein, zwei, ja selbst vier oder fünf Tage lang.)
24. Februar. Ein Intermezzo von schönem, milden Wetter. Ich
wandere ein gut Theil umher, manchmal des Nachts unter dem Mond.
Sah heut’ Nacht lange auf das Haus des Präsidenten. Das weisse
Portal, die palastartigen, hohen, runden Säulen, fleckenlos wie Schnee
— die Wände desgleichen — das zarte und milde Mondlicht, das
über den bleichen Marmor flutete und eigenthümliche, schwache,
schwindende Schattierungen — keine Schatten — wirft, überall ein
sanftes, transparentes, nebelhaftes, dünnes, blaues Mondnetz, in der
Luft hangend — die glänzenden, ungewöhnlich reichen Gascandelaber
rings um Façade, Portal und Säulengang, alles so weiss, so marmorn
rein, blendend und doch so mild — das Weisse Haus künftiger
Dichtungen, das Haus künftiger Träume und Dramen, hier im milden,
reichflutenden Mond — die pomphafte Front in den Bäumen, unter
dem strahlenden, hellen Mond, voll Wirklichkeit, voll traumhaften
Scheines — die Bäume entlaubt, schweigend, die Stämme und die
Myriaden von Winkeln und Ecken im Netzwerk der Zweige, unter
den Sternen und dem dunkeln Himmel — das Weisse Haus des Landes,
und der Schönheit und der Nacht — Schildwachen vor den Thoren
und im Gang, schweigend in ihren blauen Mänteln auf und nieder-
schreitend, — sie halten niemanden an, aber folgen mit scharfen
Augen, wo immer man geht.
Einen Besuch will ich ausführlich erwähnen, den ich den baracken-
artigen, einstöckigen Bauten des Campbeil-Hospitals draussen in der
Ebene, am Ende der damaligen Pferdebahn in der 7. Strasse machte.
Für jede Abtheilung ist ein langes Gebäude da. Gehen wir in die
Abtheilung 6. Sie enthielt heute, nach meiner Schätzung achtzig bis
hundert Patienten, zur Hälfte Kranke, zur Hälfte Verwundete. Das
ganze Gebäude besteht nur aus Brettern, die innen gut geweisst sind,
und den gewöhnlichen, dünnen Eisenbettstätten, schmal und einfach.
Wenn man den Mittelgang hinabgeht, hat man auf jeder Seite eine
Reihe, die Füsse gegen uns, die Köpfe zur Wand gerichtet. Feuer
sind in grossen Öfen angezündet und das vorherrschende Weiss der
Wände ist durch einigen Schmuck, Sterne und Kränze von Immergrün
gehoben. Das ganze Gebäude ist ohne Abtheilung, so, dass es mit all
seinen Inwohnern mit einem Blick übersehen werden kann. Man kann
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 21, S. 815, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-21_n0815.html)