Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 21, S. 816

Aus den Aufzeichnungen über den amerikanischen Bürgerkrieg (1861—64) (Whitman, Walt)

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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 21, S. 816

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816 WHITMAN.

Stöhnen oder anderer Laute unerträglichen Leidens von zwei oder drei
der Bettstellen hören, aber im ganzen herrscht Ruhe, ein beinahe
schmerzliches Fehlen aller Demonstration; nur die bleichen Gesichter,
die stieren Augen und der Schaum auf den Lippen sind Demonstration
genug. Die meisten dieser Kranken und Wunden sind offenbar junge
Burschen vom Land, Farmerssöhne und dergleichen. Man achte auf
die schönen breiten Gestalten, die hellen und starken Gesichter, die
vielen, noch merklichen Zeichen einer kräftigen Constitution und
gesunden Natur. Man achte auf die geduldige, stumme Art unserer
amerikanischen Verwundeten, wie sie hier in solch trauriger Ver-
sammlung lagen; Repräsentanten von ganz Neu-England, von New-
York, und New-Jersey und Pennsylvania — in der That von allen
Staaten und allen Städten — vielfach auch aus dem Westen. Die
meisten von ihnen sind hier gänzlich ohne Freunde und Bekannte
— kein vertrautes Gesicht, kaum jemals ein Wort vernünftiger Sym-
pathie oder Ermunterung in ihren oft langen und widerwärtigen
Krankheiten und den Qualen verschlimmerter Wunden.

Eine nächtliche Schlacht (vor einer Woche).

Es war hauptsächlich in den Wäldern, und alle Truppen im Feuer.
Die Nacht war schön, von Zeit zu Zeit schien der Mond voll und klar
herunter, die ganze Natur so ruhig, das frühe Sommergras so weich und
das Laub der Bäume — und darunter das Wüthen der Schlacht, und viel
wackere Burschen hilflos am Boden und immer neue neben sie sinkend,
jede Minute mehr, unter dem Knattern der Gewehre und dem Krachen
der Kanonen, das rothe, lebendige Blut rieselnd aus Köpfen, Rümpfen
und Gliedern auf dem grünen, thaukühlen Gras. Streifen des Waldes
fassen Feuer, und zahlreiche Verwundete, unfähig sich zu bewegen,
werden von den Flammen verzehrt — über viele Bäume fegt das
Feuer, verbrennt die Todten — manche Soldaten kommen mit ver-
sengtem Haar und Bart, andere mit Brandwunden an Gesicht und
Händen, andere mit Löchern in den Kleidern davon. Die aufzuckenden
Flammen der Kanonen, die rascher lodernden Flammen und der Rauch,
der ungeheure Lärm, das Gewehrfeuer so allgemein — das Licht fast
hell genug, dass die beiden Heere einander sehen können, das Krachen,
das Stampfen der Männer, das Gebrüll, das dichte Gemenge, wir
hören das Johlen der Secessler — unsere Leute jauchzen laut zurück,
insbesondere wenn Hooker in Sicht ist — Handgemenge, beide Seiten
halten kraftvoll aus, tapfer, entschlossen, wie Dimonen erneuern sie
ihre Angriffe auf uns — tausend Thaten wurden vollbracht, würdig
genug, um grössere Gedichte auf sie zu schreiben — und immer noch
stehen die Wälder im Feuer, und noch immer werden viele nicht
nur versengt, nur zu viele, unbeweglich und hilflos, gehen durchs Ver-
brennen zugrunde.

Dann die Plätze für die Verwundeten — hilf Himmel, gehört
das wirklich noch zur Menschheit, diese Fleischbänke? Es sind
mehrere da. Da liegen sie — im besten Falle in einer Waldlichtung

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 21, S. 816, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-21_n0816.html)