Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 3, S. 58

Die Alkestis des Euripides (Hofmannsthal, Hugo v.)

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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 3, S. 58

Text

HOFMANNSTHAL: DIE ALKESTIS DES EURIPIDES.

Ohnmächtig winselnd, bis der Tod mich holt
Und Dir entgegenführt zum zweitenmal!

Alkestis.

Habt Ihr verstanden Kinder, wie der Vater
Gelobte, dass er nie ein and’res Weib,
Mein Fleh’n missachtend, Euch zur Mutter gibt?

Admet.

Ich schwör’ es abermals und heilig Dir.

Alkestis.

Jetzt musst Du ihnen auch die Mutter sein.

Admet.

Wohl haben sie mich nöthig, Dein beraubt.

Alkestis.

Ich sollte leben, Kinder, und ich muss
Hinunter!

Admet.

Was beginn’ ich ohne Dich!

Alkestis.

Ein Todter ist ja nichts! Ein wenig Zeit,
Und alles dies ist Dir so fern und fremd!

Admet.

O verlass’ die Kinder nicht!

Alkestis.

Ich muss fort, Kinder, Kinder! Lebt wohl!

Admet.

Was willst Du denn?! Was willst Du denn?!

Alkestis.

Fortgeh’n. Leb’ wohl.

(Sie sinkt zurück.)

Admet.

Alkestis! Todt!

Die Männer und Frauen.

Todt!

Der kleine Eumelos.

Vater, die Mutter macht so grosse Augen,
Sie hat so starre Finger. Mutter, hör’ doch!

Admet.

Sie sieht Dich nicht, sie hört Dich nicht, wir sind
Sehr elend, Kinder: Arm ist Euer Vater!

Ein Edler.

Mein König, tragen heisst die strenge Noth
Wir alle leiden diesen grossen Schmerz.

Admet.

Dass weiss ich ja. Nicht plötzlich ist’s gekommen:
Dies namenlose Leid, ich ahnte es
Seit langem schon, und manchmal in der Nacht
Beugt’ ich mich über sie in solcher Angst,

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 3, S. 58, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-01-03_n0058.html)