Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 3, S. 60

HOFMANNSTHAL: DIE ALKESTIS DES EURIPIDES.

Herakles (in den Thorweg tretend).

Geh’ ich hier recht zur Schwelle des Admet?
Treff ich den König, Eueren Herrn, daheim?

Ein Jüngling.

O lass’ mich sie anrühren, Herr, die Keule!

Ein Älterer.

Meinst Du, es würde was hinüberzucken
Vom wilden Feuer der lernäischen,
Vom Löwenkampf und von Centaurenschlachten?

Ein sehr alter Mann.

So hab’ ich den Herakles noch geseh’n,
Bevor ich starb und kann im Schattenland
Davon erzählen, wenn mich einer fragt!

Herakles (lächelnd).

Da hast Du gar was Grosses, alter Mann!
Staunst Du auch jedesmal, wenn Du den Blitz
In alle Bäume fahren siehst? Und doch
Der schlägt viel stärker zu als ich und kommt
Viel weiter her —

Ein junger Mann.

Der Blitz hat nur noch nie mit uns geredet!
Du aber, wenn Du nur den Mund aufthust,
Ist einem doch, als wachsen alle Sterne,
Als würden alle Wasser feuerfarb’,
So läuft ein Wind von Wundern vor Dir her!

Der Jüngling.

Und sag’, Herakles, wohin gehst Du jetzt?
Dass Du an uns’rer Stadt vorübermusst?
Damit ich, wenn ich künftig dieses Thal
Und die vertrauten Wege seh’, mir sag:
Auch hier bist Du so gut im Märchenland
Als irgendwo, nur wie der Floh im Pelz:
Was kümmert’s ihn, ob Löwe oder Hund?

Herakles.

Dem Trauernden will ich nicht lästig sein,
Dass Du um einen Nahverwandten weinst,
Ich wusst’ es früher nicht, jetzt freilich geh’ ich
Und suche mir ein andres Haus zur Rast.

(Er wendet sich zum Gehen, der König sieht ihm theilnahmslos nach; plötzlich besinnt er sich,
richtet sich auf und sagt stark.)

Admet.

Herakles, nur dies eine thu’ mir nicht,
Dass Du, ein Gast, umkehrst auf meiner Schwelle!

Herakles.

Entlass’ mich und ich dank’ Dir tausendmal.

Admet:

Ich lasse Dich zu keines andern Herd,
Eh liess’ ich meine Todten unbegraben!
Werd’ meine Art so ganz unköniglich,
Dass ich den fortscheuch’, den ich ehren soll?!