Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 4, S. 82

Die Schlüssel des Himmelreichs. (Commentar. Dritter und Fünfter Act) (Strindberg, August)

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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 4, S. 82

Text

STRINDBERG: DIE SCHLÜSSEL DES HIMMELREICHS.

einem Riesen, wie es keinen grösseren
im ganzen Norden gibt, avanciert. Er
jubelt:

Der Schmied.

Bin ich auch just nicht schön, bin ich
doch schaurig gross,
Weit blick’ ich ringsumher, viel weiter
als die meisten.
Ich spiegle mich im See, auch in der
Wolke Schoss u. s. w.

Allein ungetrübt ist seine Freude
nicht:

Der Schmied.

Dort unten in dem Thale, da wohnt der
Priestergreis,
Aus seiner Kirche hör’ ich’s immer
bimmeln,
Das Volk in altem Trotte, hinwallet
scharenweis,
Um ihren weissen Balder gläubig zu
verhimmeln.
Doch auch den Berg, den Riesen, ehrt
keiner mehr fürwahr,
Obgleich an Kraft er allen überlegen;
Er schützt im Thal die Menschen vor
wilder Sturmgefahr.
Die blauen Blitze fängt er in seinem
eig’nen Haar,
Dem Acker gibt er Wärme, die Sonnen-
licht gebar,
Im tiefen Schosse sammelt er den Regen.

Das Gefühl seiner Erhabenheit über
das erbärmliche Volk, das sich da unten
angebaut, lässt ihn jedoch ihren Undank
verschmerzen. Voll Geringschätzung sieht
er sie vor dem Spuk der Nacht sich angst-
voll in die Betten verkriechen, Gebete
stammelnd.

Er hingegen, der Riese

Der Schmied.

liebt das Dunkel, in dem die Ruhe
thront,
Im Dunkel herrscht die Stille, wo der
Gedanke wohnt,
Denn vor der Sonne tanzen doch nur
Mücken.

Es erfüllt ihn mit Stolz, dass sich
die Eule ihm auf die Schulter setzt:

Der Schmied.

Da ist mein Lieblingsvogel, mein Nacht-
freund und Berather,
Zwei Augen auf zwei Schwingen, mit
Krallen wie ein Kater.
Um Weisheit kann man dich allein befragen,
Und niemand wird den Strauss mit Ries’
und Vogel wagen.

Da kommen mit Grabscheiten, Hauen
und Spaten die Zwerge angerückt. Unten

am Berge zu Füssen des Riesen, fangen
sie an zu hacken und zu graben. Sie
singen:

Die Zwerge.

Wir picken, wir hacken,
Wir knicken, wir knacken,
Wir geben nicht Ruh’,
Wir hetzen, wir fetzen,
Wir wetzen, wir setzen
Dem Bergkönig zu.

Mit Staunen sieht der Alte die frechen
Knirpse sich anschicken, seine Stellung zu
untergraben:

Die Zwerge.

Wir schütteln, wir schmeissen,
Wir rütteln, wir reissen
Den Riesen schon um.
Wir picken, wir packen,
Wir knicken, wir knacken,
Im Staub liegt er — plumm!
Plumm! (Lang anhaltend).

Er warnt sie, aber sie lassen nicht ab
von ihrem Vorhaben. Da niest er und
es regnet Gerölle, er hustet und Steine
stürzen herab und verschütten den Zwerg-
könig. Wie sich die Zwerge nun um den
erledigten Thron in die Haare gerathen,
Ränke schmieden und »nicht um ein Haar
besser sind als die grossen Menschen!«
Mitten im Gewirre tritt der Däumling in
Siebenmeilenstiefeln, mit seiner Gemahlin,
dem Aschenbrödel auf, und möchte nun
den Thron an sich reissen. Seinen An-
spruch begründet er darauf, dass er der
Kleinste unter den Kleinen, und wer sich
erniedrigt, der wird erhöht. Im Zwei-
kampfe soll es ausgefochten werden. Er
wird überlistet, um seine Siebenmeilen-
stiefel betrogen und bei dem entstehenden
Tumult und dem vom Hoberg-Alten auf
die Raufenden geschleuderten Steinregen
sammt dem Aschenbrödel getödtet. Hier
findet Petrus die Erschlagenen und macht
dem Hoberg-Alten Vorwürfe, dass er es übers
Herz bringen konnte, die armen Kleinen
zu tödten. Allein letzterer weist seine An-
klage zurück: »Sie hätten sonst mich ge-
tödtet!« »Wahr’ Dich,« ruft er ihm zu,
»vor Zwergen. Sie beherrschen die Welt.
Im Innern der Berge verbringen sie ihre
Zeit damit, nach Gold zu schürfen, für
das die Menschenkinder Glaube und Seele
verkaufen, und Schwerter zu schmieden,
mit denen die Menschenkinder einander
umbringen.«

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 4, S. 82, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-01-04_n0082.html)