Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 4, S. 83

Die Schlüssel des Himmelreichs. (Commentar. Dritter und Fünfter Act) (Strindberg, August)

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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 4, S. 83

Text

STRINDBERG: DIE SCHLÜSSEL DES HIMMELREICHS.

Als hierauf Petrus sich zum Gehen
wendet, bittet ihn der Hoberg-Alte in-
ständig, ihm doch Gesellschaft zu leisten.
»Ich bin so einsam und bedarf der
Freundschaft!« »Freundschaft,« antwortet
St. Peter, »kann nur zwischen Personen
von einigermassen gleicher Corpulenz be-
stehen. Du bist zu gross für mich,
Schmied. — Viel zu gross!«

Und nun flicht Strindberg eine Idylle
ein und zeichnet, nachdem er die Miss-
gunst, die Herrschsucht und Verschlagen-
heit der Kleinen geschildert, nun auch, im
Gegensatze zu dem Unfrieden, den Leiden,
der Vereinsamung der Grösse, das still
umfriedete Glück bescheidener Verhält-
nisse.

Es erscheinen Hand in Hand der
Pastor und die Pastorin, ihr Sohn und
ihre Schwiegertochter, die Enkelin und
deren Bräutigam, die sich zärtlich um-
schlungen halten und noch ein Enkelchen.

Wir lassen die kleine Scene im Wort-
laute folgen.

Dritter Act. Fünfte Scene.

Pastor.

Ein schöner Abend! — Und nach schönem
Tag!
Habt Dank, Ihr meine Kinder, Kindeskinder!
Der Jahre achtzig füllte heut der Greis,
Nun neiget sich dem Abend zu sein Leben.
Habt Dank, dass wolkenlos die Rüste
Ihr gestaltet,
Ihr alle, die Ihr meine Welt gewesen.
Denn nie verliess ich noch dies stille Thal.
Da nahm mein Leben erst den rechten
Anfang,
Als hier ich mit der Frau das Heim uns
baute.
Ich weiss nicht, wie es kommt, doch
dieser Abend
Ruft das Vergangne neu mir ins Gedächtnis.

Kind (erschrocken).

Grossvater, sieh, der Hoberg-Alte rührt sich!

Pastor.

Du siehst Gespenster, Kind! — Der Berg
ist’s,
Und der hat sich noch nie gerührt!
Es geht vom Hoberg-Alten eine Sage,
Ein Märchen, weisst Du, Kind, dass er
ein Riese,
Der einst verhext von einem Bischof ward,

Und eher nicht Erlösung finden kann,
Bis er sich eines Weibes Lieb’ erringt!
Sei also nur getrost, mein Enkelkind,
Der Hoberg-Alte sitzt noch hübsch lang
still.

Sohn.

Nein, Vater, das ist gar noch nicht so
sicher;
Hier spricht man schon von einem
Schienenweg,
Den durch den Alten quer man ziehen will.

Pastor.

Sieh, das ist mehr, als ich gewusst — — —
Das freut mich, und betrübt mich auch,
Denn theuer war mir dieses Thal,
So still und einfach, fern vom Weltgetriebe

Kind.

Sieh nur, nun schüttelt sich die Linde,
Grossvater, und doch bläst kein Wind.

Pastor.

Er bläst gewiss dort oben in der Krone,
Ob wir’s hier unten auch nicht fühlen,
Engelchen.

Bräutigam (zur Braut).

Vielleicht, dass sich vor Schmerz die Linde
schüttelt,
Weil morgens in die Rinde wir den Namen
ritzten.

Enkelin.

Vor Schmerz sah ich sie weinen, und wie
sollte
Denn sie nicht leiden, während wir
geniessen,
Ist unser Glück doch stets auf andrer
Schmerz gebaut.

Pastorin.

Sie blühte diesmal reich, die alte Linde,
Da wird’s viel Honig geben in den Körben.

Schwiegertochter.

Du denkst doch stets an Deinen Haushalt,
alte Mutter.

Pastorin.

Wer, glaubst Du, sollte sonst wohl daran
denken?
Man ritzt nicht mehr den Namen in die
Linde,
Hat man die siebzig hinter sich.
Da pflückt Grossmutter lieber Blüten,
Und trocknet sie, um Thee zu haben,
Wenn an dem Sarg der Husten hobelt.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 4, S. 83, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-01-04_n0083.html)