Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 4, S. 85

Die Schlüssel des Himmelreichs. (Commentar. Dritter und Fünfter Act) (Strindberg, August)

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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 4, S. 85

Text

STRINDBERG: DIE SCHLÜSSEL DES HIMMELREICHS.

allem! Mit dem Bestehenden, dem Gegen-
wärtigen und Zukünftigen!« dass St. Peter,
der anfangs glaubt, am Ziele seiner
Wanderung, im Himmelreiche selbst zu
sein, in die Worte ausbricht: »Mir scheint
ich bin geradewegs in die Hölle gerathen!«

Und nun noch ein letzter Versuch,
die Himmelsschlüssel beim heiligen Vater
in Rom zu finden und endlich das Wallen
zum Kreuze, »ist doch der Weg zum
Himmel, der Weg des Kreuzes!«

Was hier nur in flüchtigen Umrissen
gezeichnet werden musste, das ist in seiner
Ausführung von dramatischester Lebendig-
keit, sprühend von Witz und geistreichen
Einfällen. Unverkürzt seien nun zum
mindesten die schönen Schlusscenen hier-
hergesetzt. Sie sind es ja auch, die mit
unerwarteter Wendung Handlung und
Gedankengang in einen versöhnenden
Accord ausklingen lassen.

Fünfter Act. Verwandlung. (Ein
Kreuzweg und ein Calvarium. Steinerner
Sockel, darüber Christus zwischen den
zwei Schachern am Kreuze, letzteres mit
der Rückseite gegen das Publicum.) Don
Quixote (sitzt am Fusse des Kreuzes).
Der ewige Jude (der Arzt verkleidet, tritt
auf, den Kramkasten am Riemen um
den Hals).

Vierte Scene.

Jude. Kauft vom ewigen Juden,
gestrenger Herr Ritter!

Don Quixote. Was hast Du denn
noch zu verkaufen, nachdem Du Deinen
Herrn und Meister verkauft?

Jude. Manschettenknöpfe und Cra-
vattennadeln, Spiegel und Kämme, Blei-
stifte und Notizbücher!

Don Quixote. Gib mir einen Spiegel!

Jude. Ist’s gefällig?

Don Quixote. Was kostet er?

Jude. Eine Mark!

Don Quixote. Kannst Du auf dreissig
Silberlinge herausgeben?

Jude. Jawohl!

Don Quixote. Du verstehst keine
Satire? Jud’!

Jude. O, ich schon! — Aber der Herr
Ritter? (Er spuckt auf das Geld und steckt es ein.)

Don Quixote. Du spuckst aufs Geld?

Jude. Ja, ich mach’ es, wie der Herr
Ritter mit dem Juden. Ihr spuckt ihn an
und nützt ihn dennoch aus.

Don Quixote. Für Dein schlechtes
Gewissen hast Du einen merkwürdig
guten Humor!

Jude. Wieso?

Don Quixote. Nun, kreuzigtest Du
denn nicht ?

Jude. O nein, das thaten der Römer
Pilatus und seine Kriegsknechte, und
musste der sich auch die Hände waschen,
weil sie nicht rein waren, brauch’ doch
ich die meinen nicht zu waschen, die
rein sind! (Setzt sich.)

Don Quixote. Steh’ auf! Und geh’!
Geh’, geh’, so lange die Welt steht, Du,
der Du dem Herrn auf seinem letzten
Gange die Rast verweigert hast!

Jude. Sagen, Ritter! Nichts als Sagen!
Übrigens, wenn ich thue wie der buss-
fertige Schächer und um Verzeihung bitte,
wird mir dann das Paradies nicht offen
stehen?

Don Quixote. Hast Du denn um
Verzeihung gebeten?

Jude. Ich habe noch mehr gethan:
ich habe meine Strafe abgebüsst und nun
bin ich müde.

Don Quixote. Setz’ Dich her, armer
Jude, und möge der Schatten des Kreuzes
Dir Kühlung spenden!

Jude. Wisst Ihr, Ritter, weshalb
Judas die dreissig Silberlinge wegwarf
und hingieng und sich erhenkte?

Don Quixote. Nein!

Jude. Das Geld war falsch!

Don Quixote. Deine Gedanken
drehen sich fort und fort um Geld und
weltliche Dinge und Du bist noch weit
vom Kreuz.

Jude. Ich will mit Euch nicht streiten,
Herr Ritter, und finde es vernünftiger,
Eure Meinung zu theilen; so sind wir
mindestens in der Hauptsache eins.

Fünfte Scene. (Die Vorigen. St.
Peter. Der Schmied.)

St. Peter.

Hier, seh’ ich, sammelten sich müde
Pilger:
Der Ritter nahm den ersten Platz.

Don Quixote.

Am Scheidewege treffen wir uns alle,
Allein wir treffen uns nur, um zu scheiden!

St. Peter.

Du scheinst nun allen Ernstes müde, Ritter!

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 4, S. 85, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-01-04_n0085.html)