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des neugebornen Kindes gehalten, so ver-
körpert sich und wächst in ihm auch die
Thiernatur. Hunger und Durst und die
Begierde nach glänzenden Dingen stellen
sich ein; das Thier im Menschen ver-
langt nach diesem und jenem; der Kampf
ums Dasein und um Genuss beginnt, und
nimmt mit dem Alter zu. Jede erwachende
Leidenschaft ernährt sich durch die ihr
gleichartigen Elemente, und diese werden
durch die Handlungen der Menschen zu
seinem eigenen Wesen; sie verkörpern
sich in ihm und bilden die vielen, stets
veränderlichen »Ichheiten« oder Formen
des falschen Selbstbewusstseins, aus denen
der egoistische und thierische Mensch
zusammengesetzt ist. Manches menschen-
ähnliche Geschöpf führt ein thierisches
oder ein viehisches Dasein, wird geboren,
heiratet, zeugt Kinder und stirbt, ohne
dass jemals die eigentliche Menschenseele
in ihm zur Verkörperung gelangt. Solche
Idioten sind selbst unter den »Gebildeten«
keine Seltenheit.
5. Die rationelle Natur. Wenn der
Mensch eine gewisse Reife erlangt hat,
so fängt das intellectuelle Princip, von
den Indiern »Manas« genannt an, sich in
ihm zu entwickeln und zu verkörpern. Es
ist dies dasjenige Princip, welches ihn be-
fähigt, vermittels seines Gehirnes zu
denken, Ideen zu sammeln, sie mit ein-
ander zu verbinden, sie zu analysieren und
im Gedächtnisse aufzubewahren. Diesem
Princip wohnt an sich noch keine wahre
Erkenntnisfähigkeit inne; denn diese ist
eine Kraft, welche dem nächst höheren
Princip, »Buddhi« genannt, angehört und
Eigenthum des inneren, unsterblichen
Menschen, der göttlichen Seele ist. Es
gibt viele Menschen, in denen das rationelle
Princip hoch entwickelt ist und die doch
keinen Geist haben. Die rationelle Natur
ist in ihnen überfüttert, gemästet und krank-
haft, wie eine Gansleber hypertrophiert,
während ihre Seele verhungert. So findet
man nicht selten seelenlose Gelehrte, mit
wenig Vernunft, aber vielen Hirngespinsten,
Theorien und Meinungen. Ihre Köpfe
sind voll gelehrten Krames, aber die Herzen
leer. Aus solchen entwickeln sich Teufel
in Menschengestalt, die kein Mitleid oder
Erbarmen und keine wahre Liebe kennen.
Sie würden die ganze Welt zugrunde
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richten, wenn sie es könnten, nur um
damit ihre wissenschaftliche Neugierde zu
befriedigen. Solche Menschen werden
geboren, leben und sterben, ohne dass in
ihnen jemals das Princip der wahren
Menschennatur zur Wiederverkörperung
kommt.
6. Die göttliche Natur. Dieses
Princip, »Buddhi« genannt, von »Atma-
Bodh« (Atma
Geist, Bodh
das
Licht) bedeutet das geistige Licht der
Wahrheit; es ist das »Christus-Princip«
im Menschen, welches Manas erleuchtet
und von welchem es in der Bibel heisst:
»Das Licht scheint ewig in die Dunkelheit,
und die Dunkelheit (der umnachtete,
irdische Menschenverstand) kann es nicht
begreifen.« Wäre dieses Princip bereits in
uns völlig wiederverkörpert, so wie es an-
geblich in Jesus von Nazareth verkörpert
war, so wären wir vollkommen und im
Geiste wiedergeborne Menschen. Deshalb
wird auch ein Mensch, in welchem dieses
göttliche Licht Eingang gefunden hat, von
ihm erfüllt und erleuchtet, ein Buddha,
d. h. ein Erleuchteter genannt.
Dieses geistige Licht gehört der oberen
Dreiheit im Weltall, Atma-Buddhi-
Manas, d. h. dem untheilbaren Allgeiste,
dessen Licht und Substanz, mit anderen
Worten, der heiligen Dreieinigkeit, an.
Es kann den Menschen erleuchten, aber
nicht von der Gottheit losgetrennt werden.
Wenn dieses göttliche Licht der Gottes-
erkenntnis im Menschen aufgehen soll,
so muss der Mensch selbst den Wahn seiner
Selbstheit verlassen; seine von diesem
Lichte erfüllte Seele geht in diesem Lichte
auf und nimmt theil an dessen Allbewusst-
sein, Allgegenwart und Allwissenheit. Dies
ist der Zustand der Verherrlichung, welche
von den Buddhisten »Nirwana« genannt
wird.
Wir sehen somit, dass das fünfte
Princip, Manas, theilweise dem untheil-
baren Ewigen und Unendlichen, theilweise
dem Zeitlichen und Vergänglichen angehört,
d. h. die unteren Seelenkräfte des Gemüthes
streben nach dem Irdischen und dessen Ver-
heissungen und Errungenschaften, während
die höheren Seelenkräfte, wo solche in
Thätigkeit sind, nach dem Göttlichen
streben, im Göttlichen wurzeln, und darin
ihre Ruhe finden. Der Mensch ist ver-
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