|
Durch die Verfinsterung des Tages
strahlt der gekreuzigte Jesus im Lichte
der blutigrothen Sonne. Aus dem starren
Dunkel heraus tritt in herrlicher Nacktheit
der naturreine Mensch; die drohende Hand
ist gen Himmel gehoben, sein Auge
blickt in heiliger Empörung dich an und
sein Mund spricht die fragende Klage:
»Warum starb dieser ‚Mensch‘?«
Dies eines der gewaltigsten Gemälde
Karl Wilhelm Diefenbachs; heute doppelt
beredt in seiner ernsten Sprache, wo sein
Schöpfer an einem Wendepunkte des
Schicksals steht, das er mit allen »Er-
lösern« der Menschheit aus ihrer Ent-
artung theilt und das nach dem Geiste
dieser Entartung für ihn und seinesgleichen
seit Jahrtausenden nur ein namenloses
Martyrium sein konnte.
Am 20. März 1898 eröffnete die
»Ehren-Vereinigung zur Rettung K. W.
Diefenbachs« in der Seilergasse eine Aus-
stellung des Silhouettenfrieses »Per aspera
ad astra«, des seither grössten Werkes des
Künstlers, das in hochpoetischer Weise den
Kern seines reformatorischen Bestrebens,
ein Idealbild seiner Kunst- und Lebens-
Auffassung, aufdeckt. Diefenbach erkennt
in der Kunst das bedeutsamste Mittel,
seine aus einem gewaltigen Leben ge-
wonnenen regeneratorischen Ideen zum
Ausdruck zu bringen; Menschheitserlösung
ist das Programm seines Lebens als Mensch,
Menschheitserlösung der einzig würdige
Lebensäther für seine so dem höchsten
zugewandte Kunst; Mensch und Künstler
eins im Drange seiner göttlichen Mission.
Arme irregeführte Menschheit! Zu
todten Götzen flehst Du um Erlösung,
indess Du Dich vom Gott des Lebens und
des Heils hast abgewendet, sein Gebot
missachtest und dawiderhandelst, der Erde
lachend Eden in ein Jammerthal, in eine
Mördergrube verwandelst! — Erkenn’
|
Dich selbst! Du bist Dein Gott! Der
Himmel und das Paradies, die Heimat
Deines Geistes, Deiner Seele, der Erde
wonnerfüllte Herrlichkeit, des Weltalls
ew’ge Unermesslichkeit als Keim verborgen
liegt in jedes Menschen Brust! —Erkenn’
Dich selbst! — Nur die Erkenntnis
Deiner Göttlichkeit befreit Dich von den
Banden und dem Fluch des Irrthums, des
Verbrechens, des namenlosen Elends, der
Schändung Deiner selbst und Deiner
Mutter-Erde! —
Mit diesem Rufe, dessen höchste Er-
füllung Jesus von Nazareth durch das zu
heiligstem Ende gesprochene Wort: »Ich
und der Vater sind eins« auch als sein
Lebensziel bekannte, tritt Diefenbach seiner
von solchem Ziele — »gott«-los — zur
Raubthiersphäre entarteten Zeit gegenüber.
Alles Elend der geschichtlichen Menschheit,
Krankheit, Laster, Prostitution, Wahnsinn,
Mord, Selbstmord und den zum Himmel
schreienden Massenmord »Krieg«, erkennt
und beweist er nach heiligen Sühngesetzen
als Folgen der »Gott«-Entfremdung der
Menschheit, als Folgen des Zwiespaltes
aller menschlichen Verhältnisse zur Natur
und erkennt und bethätigt die Erlösung
der Menschheit in der Loslösung von Un-
natur (Bestialität) — Wiedervereinigung
mit »Gott«. So erzieht er sich und seine
Jünger von der mit der Muttermilch ein-
gesogenen und an den entarteten Verhält-
nissen unserer Zeit entwickelten krank-
haften Unnatur physisch und moralisch
zur Höhe jener Natureinheit im Leben,
deren Darstellung im Ideale das höchste
und letzte seiner Kunst ist.
Aus diesem Geiste entstand »Per
aspera ad astra«, dessen edle Dichtung
(Per aspera ad astra. Ein Lebensmärchen
von K. W. Diefenbach) ihn auf dem Dornen-
wege der Leiden in ein Land gelangen
lässt, in welchem die Ideale seiner Kunst-
und Weltauffassung als verjüngte Mensch-
heit an seinem Auge vorüberziehen: die
|