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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 6, S. 142

Text

UDDGREN: BEI STRINDBERG IN LUND.

Märchenspiels, doch allzu skizziert, als dass
ich wagen könnte, es hier wiederzugeben.
Aber aus dem, was er erzählt, glaube ich
zu entnehmen, dass es sich auf der Bühne
gut machen müsste.

»Besser als Lycko-Per« (Glückspeter),
meint Strindberg selbst.

»Aber,« fährt er fort, »es ist schwer,
von dramatischer Schriftstellerei zu leben.
Ich habe ja über 30 Dramen geschrieben,
Schauspiele und Komödien. Wer spielt sie
heutzutage? So gut wie niemand! Sie
liegen und vermodern in den Manuscript-
schränken der Theater, und wenn sie ein
seltenesmal ans Tageslicht kommen, so
ist es nur, um rasch wieder begraben zu
werden. Glauben Sie, dass ein Schrift-
steller immer weiter Dramen schreiben
kann, wenn man sie nie spielt?
Ja, man muss sich damit trösten, dass
man für die Zukunft schreibt!«

Er ist die ganze Zeit während unseres
Besuches so fröhlich und heiter gewesen,
es lag gleichsam eine neue Jugendfrische
über dem geprüften Fünfzigjährigen — er
sieht übrigens in gewissen Augenblicken
aus wie ein fröhlicher junger Schalk, trotz
seiner grauen Löwenmähne und seinem
Ansatz zum Embonpoint — aber der Ge-
danke daran, dass er seine besten Kräfte
in seine dramatische Dichtung gelegt, dass
fast alle seine Schauspiele aufführbar sind,
aber dass die Mehrzahl niemanden ge-
funden, der sie ernstlich aufgenommen,
dieser Gedanke lässt für einen Augenblick
eine Wolke bitteren Schmerzes über seine
Gesichtszüge huschen.

Aber mit einemmale besiegt er die
Wolke, es ist als streckte er eine geballte
Riesenfaust durch dieselbe, und mit einem
Lächeln ruft er:

»Ich hätte nicht übel Lust nach Stock-
holm zu reisen und meinen alten Plan
aufzunehmen — ein Strindberg-Theater.

Später trafen wir Strindberg vor un-
serem Hotel. Er gieng auf und ab und
wartete auf uns, denn wir sollten unser
Mittagsessen zusammen einnehmen.

Es muss an diesem Tag Markt in
Lund gewesen sein.

Als wir durch Åke Haussons Thor
kamen — das kleine Studentenrestaurant,

das Strindberg aufzusuchen pflegt, wenn
er auswärts isst — da war der Hof voll
Bauernkarren, Pferden, die Reif in den
Mähnen hatten, und Bauern, die durch
den Branntwein und lebhafte Geschäfte
aufgethaut waren.

Es liegt eine eigenthümliche alt-
väterische Stimmung über diesem Hof.
Zu beiden Seiten zwei niedrige einstöckige
Häuser, aber mit himmelhohen Dächern.
Die dritte Seite von einer hohen wein-
umrankten Mauer begrenzt. Die vierte von
einer käthenähnlichen Hütte mit hohem
Schornstein.

»Ist das nicht ganz wie eine Decoration
zu einem Shakespeare’schen Schauspiel,
dieser Hof hier?« fragte Strindberg.

Wir bahnten uns den Weg zwischen
Pferden und Wagen bis zur Ecke ganz
links. Hier mussten wir uns bücken, um
durch die niedrige Thür zu kommen. Wir
passierten ein enges Schankzimmer, wo
sich eine Menge plaudernder, lachender
Bauern um die engen Tische drängten.

Alle drehten sich um und betrachteten
erstaunt unsere hohen Cylinder, die bei-
nahe an die Decke stiessen. Aber wir
giengen weiter durch eine Thür links, in
das sogenannte Clavierzimmer.

»Hier hatten wir gestern unseren
gewöhnlichen Beethoven-Abend,« erzählte
Strindberg und blinzelte bei dem Gedanken
an eine gemüthliche Stunde in angenehmer
Gesellschaft.

Wir liessen uns um den Tisch nieder.
Bald begann man uns ein gutes schoonisches
Mittagsessen zu servieren, einfach aber
appetitlich.

»Jetzt wollen wir weiter vom Theater
reden,« begann Strindberg, und man sah,
wie lebhaft ihn sein Gegenstand interessierte.

»Für meine neuen Schauspiele will ich
nicht die gewöhnlichen Theaterdecorationen
benützen. All diese schablonenmässig be-
malten Theaterfetzen sollen fort. Ich will
nur einen gemalten Fond haben, ein
Zimmer, einen Wald vorstellend, oder
was es eben sein soll. Oder vielleicht könnte
man den Fond durch ein Skioptikonbild
gewinnnen, auf Glas gezeichnet und auf
eine weisse Leinwand projiciert.

Weiters haben wir nur eine Estrade,
auf der die Acteure auftreten. Etwas im
selben Stil wie zur Zeit Shakespeares.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 6, S. 142, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-01-06_n0142.html)