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Rauh und schroff klingt der Name des
80jährigen Mannes, den England als einen
seiner grössten Culturbringer in diesem
Monat gefeiert hat. Nicht wie eine Fanfare,
aber dennoch wie eine Herausforderung
— mit seinem scharfen r, s und k, mit
dem selbstbewußten, kurz und bündig ab-
schliessenden n am Ende — steht der
Name und der Mann in seiner Abge-
schlossenheit da: Ruskin.
Eine Herausforderung. Ruskin hat die
ganze materialistisch-manchesterliche, raub-
und staublustige, capitalistisch-parasitische
Krämercultur seines Landes herausgefor-
dert. Er hat ihr die Wahrheit ins Gesicht
geschleudert mit einer Leidenschaft, einem
Scharfblick und einer Sprachgewalt, die
ohne Vergleich ist. In ihm scheinen Burke
und Swift wiedererstanden, nur weniger
sprunghaft, gesunder, ausdauernder. Seine
Anklagen verursachten keine wilde Em-
pörung; seine Beredsamkeit keine auf-
flammende Begeisterung, wie die der
grossen Irländer. Sie überwältigten oder
— wurden überwältigt. Ruskin, der nie
Besiegte, nahm einen Posten nach dem
anderen in ausdauernder Belagerung, nach-
dem seine Geschosse die feindliche Stellung
erschüttert hatten.
In einem Lande der Zähigkeit kann
das Genie nur dauernd sich behaupten,
wenn es selber zäh ist. Den zähen Eng-
ländern war Ruskins Charakter ein Stück
hartes Edelmetall, an dem sich der
gierigste Raubthierinstinct die Backenzähne
ausbeissen konnte, die Schärfe seiner
Gedanken so unerbittlich, dass jede rauh
zupackende Faust sich nur selber in die
Finger schnitt. Das gab ihm den end-
giltigen Sieg. Das ist das Geheimnis
seiner Überlegenheit über den geistesver-
wandten, aber verbitterten Carlyle.
Ruskin ist einer von den vielen Bei-
spielen, die die Geschichte uns in jedem
Jahrhundert aufweist, dass nur der ein-
zelne die Welt vorwärtsbewegt und nur
im Kampfe mit der Masse. Wo Feuerstein
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ist, da sprühen erst die Funken, wenn
die Reibung und der Hammerschlag er-
folgt. Sonst ist’s ein schlichter Stein wie
andere, der Jahrhunderte still und un-
bemerkt zwischen den übrigen liegt. Ein
solcher Feuerstein ist Ruskin. Er hat die
englische Welt bewegt, sein ganzes Leben
hindurch bekämpft und bewegt, bis sie
das wurde, was sie heute ist: die vor-
nehmste Cultur Europas. Er hat die
vernagelte, verriegelte und verschlossene
Gefängnisthür des geistigen Stumpfsinns
und Vorurtheils aus den Angeln gehoben
und statt ihrer eisernen Schwerbeweglich-
keit ein leichtschwingendes, anmuthiges
Gartenthor gesetzt, hinter dem bunte
Blumen und plätschernde Springbrunnen
sichtbar werden.
Wie hat ein Mann das fertig bringen
können? Die Antwort muss lauten, weil
er ein Idealist war. Ein Idealist, über-
zeugt und willensstark, ein englischer
Idealist. Denn dort gibt es auch solche,
obwohl sie vor dem deutschen Schwärmer
meistens das voraus haben, dass sie so
viel gesunden Menschenverstand besitzen,
um ihre Füsse auf der Erde zu behalten.
Die angelsächsischen Idealisten verstehen
es, dem Ideal auf diesem irdischen Jammer-
thal eine Heimstätte zu bereiten. Sie
leben ihr Ideal. Der deutsche Idealist
stirbt für sein Ideal, oder lebt und gibt
es auf. Er wird »curiert« oder er geht
zugrunde. Der anglo-amerikanische Idealist
ist unverbesserlich: er stirbt nicht und
gibt nichts auf. Das ist der Unterschied.
Von dieser Art sind alle die grossen Eng-
länder und Amerikaner gewesen, die ihre
Rasse um eine Stufe höher gebracht
haben, von Milton bis Ruskin, von
Washington bis Emerson, von Thoreau
bis Walt Whitman.
Es ist eine völkerpsychologisch inter-
essante Thatsache, dass gerade der innere
Gegensatz, nicht die günstigen Vorbedin-
gungen der Umgebung, diese Männer zu
dem werden liess, was sie sind: Idealisten,
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