Faksimile

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 7, S. 160

Text

GEMBERG: LIEBE.

gesunken ist. Seine weissen, zierlichen
Zähne packen die blaue Seide. Er fühlt
wohl, dass er sich unwürdig benimmt,
dass er sich etwas vergibt.

Aber er kann nicht anders. Die Liebe
zu dieser Frau hat ihn unsinnig, toll,
rasend gemacht. Sie liegt ganz ruhig und
saugt an ihrer Cigarette, die nach einer
Minute etwa endlich brennt.

Manche Damen haben solche Dinger,
die gar nicht anzuzünden sind. Es scheint,
als ob die Fabrik ein Patent darauf ge-
nommen hätte, Cigaretten herzustellen,
die so langsam anbrennen, dass man ein
Menschenschicksal entscheiden kann zwi-
schen dem ersten Anreiben des Streich-
holzes und der ersten, warmen, breiten,
behaglichen Tabakswolke.

Unruhige, nervöse Personen brauchen
eine Schachtel Streichhölzer zu jeder solchen
Cigarette. Die Streichhölzer aber besteuert
der Staat, und die Steuern dienen den Inter-
essen des Heeres, wenigstens inFrankreich.
Dort ist es demnach eine hochpatriotische
Sache, »Streichhölzer zu rauchen«.

Minna ist aber keine Französin, wenn
sie auch eine importierte Büchse echt
französischer unbrauchbarer Wachsstreich-
hölzer in Gebrauch hat.

Es kann ihr deshalb niemand übel
nehmen, dass sie ärgerlich wird und —
als endlich ihre Cigarette brennt, sich in
schlechtester Laune befindet.

»Was willst Du eigentlich von mir,
Gustav? Ich habe doch nun mal den
Mann, habe von ihm das Kindchen.«

Er lacht schneidend auf.

»Die Margarin-Dynastie Brennecke ist
also gesichert und einstweilen vor der
Gefahr des Erlöschens bewahrt. Eine wahr-
haft beruhigende Thatsache für alle Gut-
gesinnten, für alle Vertreter wahrer Moral
und Tugend.«

Minna ist ganz leicht erröthet bei
dem rücksichtslosen Hohn auf den Beruf
ihres Gatten. Etwas verlegen, wie ent-
schuldigend klingt ihre Rede.

»Du weisst, dass ich diesen Mann
geheiratet habe, weil es meine Eltern
wünschten, weil die Verhältnisse sehr
günstig waren, weil — — mein Gott,
was soll ich noch sagen!« —

Sie hat sich aufgerichtet. Die schma-
len, zarten Füsschen in ihren losen Pan-

toffeln scharren etwas nervös auf dem
Teppich.

Eine Plüschdecke gleitet bei ihrer Be-
wegung vom Sopha herab.

Alles um Minna herum ist so weich,
so warm, so ausgepolstert. Sie lebt in
ihrem erheirateten Palast eines Börsen-
fürsten, wie eine wilde Königin in dem
Zelte eines siegreichen Häuptlings, der
der Geliebten alles zu Füssen legt, was
er erbeutet. Die Schätze fremder Länder,
die Heiligthümer unterjochter Völker.

Gustav lacht über ihre Worte. Mit
flammenden, begehrenden Blicken folgt
er der süssen, verlegenen Unruhe ihres
Wesens.

»Aber Minna, wir sind ja doch Freunde
seit Jahr und Tag. Du kennst mich und
kannst deshalb gar nicht daran zweifeln,
dass ich Deine Heirat mit diesem reichen
Margarin-Fabrikanten nicht nur billige,
sondern geradezu bewundere. Wenn ich
ein Mädchen gewesen wäre wie Du,
würde ich genau ebenso gehandelt haben.
Lebenslang würde ich es meinen Eltern
gedankt haben, wenn sie mir eine so
brillante Partie vermittelt hätten. Wie
kommst Du eigentlich darauf, Dich mir
gegenüber deshalb so gewissermassen —
zu entschuldigen?«

Sie sieht ihn starr und enttäuscht an.

»Ist es Dir gleichgiltig, die Frau,
die Du liebst, in diesem oder jenem Arm
zu wissen? — Sind meine Küsse nach
Deinem Gefühl eine Sache, die man
öffentlich verhandeln, vertheilen kann, wie
die Actien eines industriellen Unternehmens,
meinetwegen einer — Margarin-Fabrik?
Glaubst Du, dass dieser Mann — dieser —
ach, ich kann nicht sagen, was ich für
ihn empfinde, aber glaubst Du, dass mein
Gatte irgend etwas ahnt von der Sehn-
sucht, von dieser wilden Sehnsucht, von
dem Verlangen, das mein Herz ver-
zehrt?« —

»Das wäre eigentlich ein bisschen viel
verlangt, wenn er das auch noch ahnen
sollte — Du —.« Sie sieht ihn wieder
so seltsam an, begehrend, träumend, wie
lechzend nach seiner Liebe.

Wenn er jetzt sentimental wird, wirft
sie ihm die Sclavenkette um den Nacken,
beugt ihn nieder unter ihr eigensinniges
launisches Scepter.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 7, S. 160, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-01-07_n0160.html)