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seinem eigenen vor. Im Anfang schien er
sich zu bedenken, wo er die Krucke vor
Schüchternheit ansetzen sollte, aber dann
gieng es ganz glatt.
Dann sassen sie eine ganze Weile
ziemlich schweigend da und tranken Glas
um Glas, bis es Eilert schien, dass er
genug hätte. Als er daher dankte, und
nicht mehr Bescheid thun wollte, setzte
der Meergeist die Krucke an den Mund,
bis sie leer war, reckte sich dann nach
dem Regal hinüber und holte selbst eine
neue hervor. Er war nun besserer Laune
und begann von allem Möglichen zu
reden. Aber jedesmal, wenn er lachte,
erschrak Eilert; denn sein Mund jappte
so fürchterlich und liess eine grünliche,
spitze Zahnreihe sehen mit breiten
Zwischenräumen zwischen den Zähnen,
so dass sie einer Reihe Bootsrippen ähn-
lich sahen.
Der Meergeist leerte eine Krucke nach
der andern und wurde immer mittheil-
samer. Mit einer Miene, als wenn er bei
sich im Stillen an etwas recht Lustiges
dächte, blinzelte er ihn eine Weile an.
Eilert behagte dieser Ausdruck nicht,
denn ihn dünkte, derselbe besagte: »Jetzt
wird es Dir bald anders gehen, mein
Jungchen!« Aber statt dessen sagte er:
»Du hast heut’ Nacht Dich arg geplagt,
Eilert; aber es wäre Dir nicht so übel
ergangen, wenn Du nicht die Graberde
auf die Netzschnur gestrichen und meiner
Tochter die Kirchfahrt verweigert hättest«
— bei diesen Worten brach er plötzlich ab,
als wenn er zuviel gesagt hätte, und
setzte, um den Satz nicht zu Ende führen
zu müssen, die Branntweinkrucke an den
Mund. Im selben Augenblick jedoch fieng
Eilert einen auf sich gerichteten, so todes-
hasserfüllten Blick auf, dass es ihm
schaudernd den Rücken entlang lief.
Als der Meergeist nach einer Weile
die Krucke absetzte, war er wieder ganz
gemüthlich geworden und erzählte nun
eine Geschichte nach der andern. Er
streckte sich immer behaglicher auf dem
Segel aus und lachte und staunte selbst-
gefällig über seine eigenen Erzählungen,
die alle auf Ertrinken oder Schiffbruch
hinausliefen. Eilert fühlte bisweilen den
Hauch seines Lachens wie einen kalten
Stosswind bis zu sich hin. Wenn die
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Leute nur auf ihre Boote Verzicht leisten
wollten, sagte er, dann wäre er gar nicht
so begehrlich nach der Mannschaft, aber
für Treibholz und Schiffsbalken zu sorgen,
wäre nun einmal seine Pflicht. Wenn
Mangel daran wäre, müsste er ein Boot
oder Fahrzeug haben, das könnte ihm
niemand verdenken.
Als er die Krucke gleich darauf geleert
wegsetzte, wurde er auch gleichsam wieder
trauriger gestimmt und begann von den
schlechten Zeiten für ihn und die Seinen
jetzt, gegen früher, zu reden. Er starrte
eine Weile starr und gleichsam grübelnd
vor sich hin, streckte sich dann hinten-
über mit dem Körper und den Füssen
lang auf dem Boden aus und gähnte so,
dass der Ober- und Unterkiefer zwei
einander zugekehrten Bootkielen gleich-
sahen. Dann schlief er mit dem Nacken
auf dem Segel ein.
Da stand das Mädchen wieder neben
Eilert und bat ihn, ihr zu folgen.
Sie giengen nun denselben Weg wieder
zurück, den sie gekommen waren, und
standen wieder oben auf der Klippe. Da
vertraute sie ihm an, der Grund, weshalb
ihr Vater so erbittert auf ihn wäre, sei,
dass er sie mit der Kirchenreinigung ge-
höhnt habe, damals, als sie mit zur Kirche
wollte — und ausserdem meinte er, Eilert
müsste sich des Namens, auf den es an-
käme, entsinnen. Aber beim Gespräch
vorhin auf dem Wege zu ihrem Vater
hätte sie wohl bemerkt, dass auch er ihn
vergessen habe. Nun käme es nur darauf
an, sein Leben zu retten.
Es würde weit in den Tag hinein
dauern, bis der Alte nach ihm fragen
würde. So lange müsste er schlafen, um
sich zur Flucht zu stärken — sie würde
bei ihm wachen.
Sie schlang ihr dichtes, dunkles Haar
um sein Gesicht wie einen Umhang, und
er meinte, er müsste die Augen so gut
kennen. Er fühlte, dass seine Wange auf
einer weissen Eidergansbrust ruhte, die
so weich war und auf der sich so schön
schlief — eine einzelne, rothgefärbte Feder
erweckte eine dunkle Erinnerung in ihm.
Allmählich versank er in Schlummer und
hörte sie ein Lied summen, das an den
Wellenschlag erinnerte, wie er an stillen
Sonnentagen am Strande auf- und nieder-
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