Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 8, S. 186

Vom Pessimismus in der modernen Gartenkunst (Strindberg, August)

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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 8, S. 186

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STRINDBERG: VOM PESSIMISMUS IN DER MODERNEN GARTENKUNST.

und zwischen ihnen barst zu rechter Zeit
ein Haufe garstiger Blütenballen in den
Farben des Papageis! Man hatte sie ver-
edelt, entwickelt, die Tulpen meiner Jugend,
so dass sie gefüllt worden waren und das
auf Kosten ihres Geschlechtscharakters.
Der elegante, schmächtige Becher war
ein Pompon geworden, wie ihn die
Sappeure vordem an den Tschakos trugen;
roth und gelb spielten ineinander, wie bei
einer Listmatte. Ich fühlte mich vor-
urtheilsvoll gegen die unnöthigen Neu-
heiten, doch liess ich sie den Winter
über in der Erde sitzen, dem guten Rathe
des Samenhändlers entgegen, ihnen im
Schneetreiben einen sicheren Tod wün-
schend.

Aber sie machten mir den Verdruss,
zwanzig Grad Kälte und Nordwind zu über-
leben, und als ich zu meinem Bergfelsen
wieder hinauskam, standen die Lümmel
da, allerdings etwas dünner als im vorigen
Jahr und ein wenig bleicher um die Nase;
und einige der inneren Kelchblätter fehlten,
andere hatten angefangen, auf dem etwas
gekrümmten Blatte einen Staubfadenbeutel
anzusetzen, und die ganze Herrlichkeit
wies Zeichen von Degeneration auf, von
Rückgang zu der liebenswürdigen Barbarei,
die ich in meiner Jugend bewundert hatte.

Im dritten Frühling war die Entartung
vollständig durchgeführt und ich hatte auf
Umwegen die Tulpen meiner Jugend wie-
der bekommen — und sie stehen wohl
noch da, obgleich ich sie seitdem nicht ge-
sehen habe.

Dann hatten wir die Narcisse, die echte
classische, Narcissus poeticus, ganz so wie
sie von Ovid geschildert wird, wenn er
in den Metamorphosen den in sich selbst
verliebten Jüngling in die kreideweisse
sechsblättrige Krone mit ihrem safran-
gelben Kelch und dem Blutstreifen darum
verwandelt werden lässt. Sie war mir genug,
um zu ihr hinzugehen und sie zu bewun-
dern, um Pfingsten, den Festtagen der
Syringen und Äpfelbäume. Jetzt hat ein
betriebsamer Geist die in ihrer einfachen
Schönheit unvergleichliche Blüte gefüllt;
nur aus Jucken, etwas neues zu thun zu
bekommen, versteht sich. Und an der
Stelle der feinen kleinen Farbentouche auf
dem Grunde sitzt nun ein Papierwisch,
weiss wie alles andere; vielleicht in irgend

einer moralischen Absicht, die Nacktheiten
zu verbergen. Und jetzt bekommt man
Tazetten, Joncquilles, Scillen und mehr
dergleichen, die der alten Narcisse vor-
gezogen werden, doch ich halte an meiner
Narcisse fest; nicht weil sie alt ist, nicht
weil sie einfach ist, denn das Einfache
ist meistentheils unschön, sondern weil
sie die Schönste ist. Und wäre sie nicht
die Schönste gewesen, so würde sie nicht
an zweitausend Jahr angebaut sein, son-
dern wie die Scharlachpelargonie an
zwanzig Jahr Furore gemacht haben und
dann den Weg alles Irdischen gegangen sein!

Wenn nun der Sommer da war, kaufte
man entweder Pflanzen oder Samen für
die einjährigen, die hinaus auf die Rabatte
zwischen die zwei- oder mehrjährigen
sollten, die dort standen. Welch frohe,
leuchtende und wohlriechende Rabatte
hatte man dann nicht, am Rande mit
Reseda und der himmelblauen Nemophile
oder auch den flammenden, unlöschbaren
Wachtfeuern der indischen Kresse; weiter
hinauf der Junge und die Jungfrau im
Grünen, kleine Spässe der Natur, die
Blüte und Blatt mit einander gemischt
hat; der Riecherbsen liebliches unordent-
liches Durcheinander mit den reizendsten
Farben und dem lieblichen Hochsommer-
duft, die an ein Sommerfrischensouper
von Schlepperbsen und Gartenhimbeeren
erinnerten; der dunkelschöne, königliche
Purpur der Skabiosen; die saftigen, alles
durchdringenden Töne der Levkojen; der
Petunien gestreifte Überzüge in spanischem
Marquisenmuster, und des Mohns Zinnober
oder Rosalack.

Wenn deren Staat auf die Neige gieng,
standen die geduldigen Astern bereit anzu-
fangen. Es lag etwas Rührendes, Häusliches,
Pfarrhofmässiges über der ein wenig pauve-
ren Blüte, die meist in weiss oder wangen-
roth gieng, oder in hellviolett, wie die Farbe
dann hiess. Die Strahlenblüten sahen aus
wie weniger gut gestärkte und etwas ver-
knitterte Unterärmel, und erinnerten etwas
an Frauenunterkleider, aber so ehrbare,
so ehrbare!

Und sie standen noch die Frostnächte
aus, wenn ihre Blätter wie schwarzer Flor
herabhiengen, und oft erlebten sie aufs neue
ihren Sommer, wenn sie in Töpfe einge-
schlagen und mit in die Stadt gerettet

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 8, S. 186, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-01-08_n0186.html)