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Zeitungen verhockt hatte, urplötzlich in
einen frischen Herbstmorgen hinaustrat!
»Reitet er gut — Ihr Gatte?« fragte
er belanglos, nur um zu fragen. Und mit
klarer Begeisterung in der Stimme ent-
gegnete sie: »Wunderbar.«
Eine kleine Pause entstand. Der Kritiker
fühlte sich verlegen um die Fortsetzung
der Unterhaltung. Seltsam! Er, der sonst
die günstigen Situationen so glänzend be-
herrschte, versagte hier. — Dieses »wunder-
bar« und dies helle, sieghafte Aufleuchten
der Stimme! Er hatte darüber lächeln
wollen mit der spöttischen Ironie, die er
sonst für dergleichen übrig hatte.
»Majorshebe«, sagte er sich mit ab-
sichtlichem Hohn, »preussischer Reiterengel
mit dem militärischen rrr!«
Die Essays schwirrten durch seinen
Geist, die er, der verachtende Demokrat,
gegen das Junkerthum und seine feudalen
Auswüchse, den Rennsport u. s. w., los-
gelassen hatte. Nun wäre er beinah’ gegen
eine kleine Lieutenantsfrau zudringlich
geworden — er selbst — —?!
»Hier bin ich zu Hause«, sagte die
junge Frau, die noch immer an seinem
Arme schritt, in seine Gedanken hinein.
Sie waren vor einer kleinen, sehr ein-
fachen Villa angelangt. In den Vorder-
fenstern war Licht. Traulicher, dunkelrother
Lampenschein fiel durch den Schleier der
Gazevorhänge auf die dunkle Steintreppe
und den schwarzstarrenden Vorgarten
hinaus.
»Wäre es Ihnen eine Mühe, mich
hinaufzubegleiten? Das Diner fand ein so
frühes Ende. Es ist jetzt kaum acht Uhr.
Meine Theestunde. Sie nehmen vielleicht
den Thee bei mir?«
War es eine Aufforderung? Er sah
sie mit scharfem, unruhig prüfendem Blicke
an. Vom Schein der rothen Lampe ge-
streift, blickte ihr zartes und mädchen-
haftes Gesicht erwartungsvoll zu ihm
empor. Die Regung von vorhin, ein un-
widerstehlicher, wissensdurstiger Drang
überkam ihn, eine lebhafte Gier, diese
zusammengefaltete, traumhafte Blondheit
auseinanderzubrechen. »Was geht’s ihn
an, den Reitersmann — der ringt ja um
den Jubiläumspreis!« dachte er mit Hohn.
Er war nun wieder ganz in seiner Grund-
stimmung: diesem klaren Egoismus, der
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kalt seine eigenen Irrlehren misst und
den Consequenzen mit cynischer Ruhe
den Rücken kehrt.
»Was geht’s Dich an, was geht’s
mich an — es geht uns alle nichts an«,
reflectierte er. Und sich tief verbeugend,
mit einem leisen, glücklichen Seufzer
folgte er der fremden Frau die Vortreppe
hinauf.
Im Entrée kamen ihnen zwei Buben
entgegengesprungen; blonde Knirpschen
mit militärischer Schneid. Sie grüssten,
indem sie sich verbeugten, mit den Ab-
sätzen aneinanderschlugen und salutierend
die Hand an die Schläfe führten. »Meine
beiden Jungens«, sagte die junge Frau,
die sich zu ihnen herniederbeugte. Ritterlich
nahm ihr der Älteste den Mantel ab. Er
mochte sieben Jahre zählen. »Aber Buben,
seid Ihr noch nicht zu Bett? Da reicht
dem Onkel einmal die Hand. — Treten
Sie ein, Herr Doctor, bitte.«
Sie hatte hastig gesprochen, und bei
dieser Hast wurde er wieder sicher. Das
war unmöglich Harmlosigkeit, ihn um
diese Stunde hier mit herauf zu schleppen—
— Er sah sich um in dem kleinen, dun-
kelroth beleuchteten Gemach. Pferdebilder
an den Wänden, und wieder Pferdebilder.
Eine ganze Ahnenreihe edler Renner —
Waffen, Reitpeitschen und Pallasche an
den Wänden — das Jubiläumsalbum der
Sportwelt auf dem Salontisch — — das
also war der Ideenkreis, in dem sich dies
flatternde Vogelgehirnchen zeitlebens lang
zu bewegen haben sollte — — »Hinein-
sprengen!« sagte er sich prahlerisch;
»einrennen mit offener Lanze, was sich
an Don-Quixote-Mauern um dieses dünne
Frauenleben aufgebaut hat. Wollen auch
mal Reitersmann spielen — Fabelhaft!
— Pyramidal!«
»Wollen Sie nicht Platz nehmen?«
fragte die Stimme ihn sanft.
Sie zog einen Sessel an den kleinen,
runden Theetisch und begann, sich an
demselben zu thun zu machen. Mit einer
leichten Kopfneigung winkte sie auch die
Knaben heran.
»Nun?« fragte der Kritiker, indem er
dem ältesten flüchtig über den blonden
Scheitel strich. »Wie heisst du, mein
Sohn?«
»Heinz Dietrich Berne Wolf.«
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