Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 8, S. 194

Der Lebensabend einer Idealistin (Hartstein, B. v.)

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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 8, S. 194

Text

HARTSTEIN: DER LEBENSABEND EINER IDEALISTIN.

hat. Die alte Kämpferin muss sich dort
bis zuletzt bewähren.«

Dieser Cultus des Geistes wird bei ihr
zu einer Art Religion, aber allen Formen
feindlich »Ich habe auch einst am
Fusse des Kreuzes das Gefühl der Ge-
meinschaft, die weltüberwindende Kraft
der Entsagung und der aufopfernden Liebe
gesucht und das Bild des erhabenen Mär-
tyrers am Kreuz ist mir theuer und tief
bedeutungsvoll geblieben. Aber den histo-
risch gewordenen Kirchen mit ihren
Dogmen kann ich nicht mehr beipflichten,
so wenig wie man jetzt noch den Dionysus-
cultus mitfeiern könnte, trotzdem der
Dionysusmythus gewiss einer der schönsten
ist und noch immer das vollkommenste
Bild für unsere Einsicht in das Wesen
der Welt gibt.«

Ein andermal über die Unsterblichkeit
der Seele sagte sie: » die Gewissheit,
dass wir das eigentliche Wesen der Dinge
erst erleben werden, wenn wir dieses
Traumkleid abgestreift haben, wird immer
stärker in mir und damit die Freudigkeit.
Dieses Leben ist viel zu erbärmlich be-
dingt, um dem Geistgeborenen alles zu
sein. Das Leiden kann allerdings bis zu
einem gewissen Grade aufgehoben werden
durch die Erkenntnis, aber doch nur des-
halb, weil wir fühlen, dass etwas in uns
ist, was über die Erscheinung hinausgeht.
Die Welt wird auch dazu zurückkommen.
Das wird das neue Ideal sein, grossartiger,
verklärter, als das christliche; es wird
dem Geiste neue Flügel geben, um schon
hier, in diesem Purgatorio, neue Himmel
zu entdecken.«

Aller Kunst bringt Malwida von
Meysenbug leidenschaftliche Empfänglich-
keit entgegen. Antike und Cinquecento
behalten für sie in Malerei und Sculptur
den veristischen Bestrebungen späterer
Zeit gegenüber meistens recht
»Eine Dame meinte, man müsse doch nicht
bloss mythische Typen ewiger Gestalten
zum Gegenstand der Kunst machen,
sondern auch wirkliche Menschen. Mir
fällt bei derartigen Behauptungen immer
die Disputa von Raphael ein: Unten die
Disputierenden, um den Wortlaut Strei-
tenden, wissenschaftlich Wirklichen, die
nicht sehen, wie oben das grosse Mysterium
Wirklichkeit geworden ist, wie erst die

vom Scheine Erlösten die Wirklichen
geworden sind. »Das Unzulängliche, hier
wird’s Ereignis.«

»Die Aufgabe der bildenden Kunst
ist die Poesie der Situation. Daher kann
auch blosses Colorit, ohne eine prägnante
Idee, schon poetisch sein. Das Leben eines
Volkes in Ideen zu malen, das wäre das
Seitenstück zum Epos, welches es in
Thaten erzählt. Unsere moderne Gesell-
schaft hat aber zu beidem zu viel Reflexion;
sie malt Philosophie.«

Und die Worte Warsbergs, den die
Schönheit italienischer Typen an eine
Schilderung des Euripides, wie an antike
Bildwerke gemahnt, sind ihr aus der
Seele gesprochen:

»So werden diese Verse ganz natürlich,
wie jene schönen Münzenbilder begreiflich.
Die einen wie die andern sind nur Nach-
ahmungen der Natur, nicht, wie unsere
Schulen es glauben und die Kunst-
akademien es lehren, ideale Schöpfungen,
gleichsam ausgebildet, wie Faust seinen
Homunculus erschaffen will. Darum sind
sie so lebendig und berühren uns so an-
muthig, während die nach antiken Mustern
ausgeführten Kunstwerke uns kalt lassen
und steif und leblos scheinen. Daher
freuen uns auch solche Begegnungen in
den antiken Ländern mit dem classisch
gebliebenen Leben so sehr, weil sie uns
die ganze ursprüngliche Realität, das echt
Humane der alten Kunstwerke und Dich-
tungen darthun.«

Am wärmsten empfindet Malwida von
Meysenbug Musik. »Musik,« so sagt sie,
»ist wirklich die Versöhnerin zwischen der
mangelhaften realen Welt und der Ahnung
einer vollkommeneren, welche der Seele
in ihren besten Augenblicken vorschwebt
und sie über die gemeine Wirklichkeit
erhebt. Alle grossen Erzieher der Mensch-
heit haben Musik gebraucht. — — —
Mir verschwand (beim Anhören einer
Stelle aus Parsifal) die mich umgebende
Gesellschaft vollständig. Ich lebte nur in
den Tönen und fühlte es mehr denn je,
dass die Weltseele Musik ist. Wagner
hat sie gehört, geahnt, im Parsifal war
er schon hellsehend; ja, das kann nur
aus transcendentalen Seelen kommen.

Wagner war das gewaltige Schluss-
wort einer grossen productiven Epoche

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 8, S. 194, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-01-08_n0194.html)