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Politik: Coppée, Mirbeau, Jules Lemaître
sind in jene Höhle gerathen, aus der man
vielleicht nie mehr herauskommt. Es ist
die Hölle für die Schriftsteller: lasciate
ogni speranxa.
Da in den allzu demokratischen Ge-
sellschaften ein jeder nur das thun will,
was sein Nachbar thut, kauft das Publicum
die Bücher an der Hand des Zufalls und
gibt, wenn die Namen ihm unbekannt sind,
fast immer dem Titel, dem illustrierten
Umschlag den Vorzug, die ihm die Ge-
nüsse des Melodramas oder der Zote in
Aussicht stellen. Dennoch wäre es gewagt,
zu behaupten, dass es keine literarische
Autorität mehr gebe und das Publicum
keine Führer mehr bei der Wahl seiner
Lectüre hätte; da es von seinen alt-
gewohnten Rathgebern verlassen wurde,
hat es sich eiligst neue geistige Führer
erkoren.
Diese Spender des Ruhmes sind be-
scheiden und sogar namenlos; da sie selbst
nicht lesen, sind sie vor bösen Einflüssen
und literarischen Theorien sicher; schliess-
lich sind sie auch uninteressiert, da der
Erfolg eines Buches ihnen nur einen Zu-
schuss an Arbeit verursacht: es sind dies
die Buchhandlungscommis.
Balzac hat die Verkaufskunst der
Pariser Commis gerühmt; ihre Kunst ist
allumfassend und entfaltet sich ebensosehr
für ein Buch von Pierre Louys wie für
einen Spitzencoupon. Dies hat Balzac
nicht gesehen, gewiss weil diese Gattung
zu seiner Zeit nicht bestand. »Was soll
ich nehmen? Rathen Sie mir!« Der gute
Buchhandlungscommis irrt sich nie. Nach
dem Alter, dem Aussehen, der Haltung,
dem früheren Geschmack seiner Kunden
macht er ein Paket zurecht, aus dem
daheim am Lesetisch genau die Bücher
herauskommen werden, die man selbst
mit weniger Unbestimmtheit und geringerer
Langweile gewählt hätte. Es gibt in der
That Bücher, die für alle Welt gemacht
sind, Bücher wie Nachschlüssel, die überall
hingelangen und oft kein anderes Interesse
haben, als ihre praktische Nützlichkeit;
die anderen, die wirklichen, mit Ursprüng-
lichkeit von freien und aufrichtigen Köpfen
verfassten Bücher können nur von einer
bestimmten Kategorie von Geistern ge-
lesen, verstanden, geliebt werden, können
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nur bestimmte Herzen schlagen machen,
nur bestimmte Nerven in Schwingungen
versetzen. Die Kunst des Buchhandlungs-
commis ist es also, Bücher und Tempera-
mente in Einklang zu bringen: es ist dies
also die schönste Psychologie.
Dies sind die letzten Spuren der
literarischen Kritik in Frankreich. Sie wäre
also ganz praktisch und geschäftlich ge-
worden, wenn nicht einige Revuen, die
noch um die Freiheit der Kunst und des
Gedankens bekümmert sind, ihr gestattet
hätten, bei ihnen ihre alten Gepflogen-
heiten und ihren alten Anstrich zu be-
wahren. In solchen Cirkeln entstanden seit
zwanzig Jahren die gegründetsten Be-
rühmtheiten der zeitgenössischen franzö-
sischen Literatur. Seit zwanzig Jahren
arbeiten das Publicum und die Zeitungen,
die das Publicum vertreten, nicht mehr
am literarischen Ruhme mit. Es handelt
sich nicht mehr darum, das Publicum zu
erobern; es handelt sich darum, sich seiner
zu entschlagen und mit einem, von jed-
weder Reclame, jedweder Volksthümlich-
keit freigebliebenen Namen dem Tode
gegenüberzutreten. Dies eine Bedingung,
die wunderbar erfüllt wurde von den
Dreien: Villiers de l’Isle Adam, Paul Ver-
laine, Stéphane Mallarmé. Diese drei
Genies der Ironie, der Empfindung und
des »Wortes« waren zu ihren Lebzeiten
unglaublich unbekannt. Kaum hatte irgend
eine Episode aus ihrem Leben oder ihrem
Werke dem oder jenem geringen Chro-
nisten die Gelegenheit geboten, über sie
seinen groben, aus Unwissenheit und Bos-
heit bestehenden Boulevardhohn auszu-
giessen. Sie erregten nicht einmal Neid;
man kannte sie nicht! Und dennoch —
wie soll man diese beiden Begriffe in Ein-
klang bringen? — man kannte sie nicht
und man wusste von ihrem Genie, und
so zwar, dass bei ihrem Tode auf allen
Seiten Grabreden hergesagt wurden. Ich
habe die ganze Sammlung der Nekrologe
über Villiers de l’Isle Adam; sie sind
merkwürdig durch die Schamlosigkeit der
Geständnisse, die Übereinstimmung an
lobspendenden Schmähungen gegen das
Genie, an Hasseshymnen gegen die
Originalität eines Mannes, den sie erst
dann öffentlich anzuerkennen geschworen
hatten, wenn es ohne Gefahr für
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