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Renaissance über die ganze Welt er-
giessen wird!
Im Sogno di un mattino di Prima-
vera (Traum eines Frühlingsmorgens) war
die Landschaft toscanisch und die Hand-
lung vollzog sich in einer alten Villa,
Armiranda genannt, wie in jenem Land,
in dem der heilige Frühling des Vater-
landes erblüht war, in jenem Lande, in
dem die harmonischen Linien der bewal-
deten Hügel und die krystallische Klarheit
der Luft allen schönen Dingen, mit denen
Mutter Natur es geschmückt, ein lenzes-
gleiches Aussehen verliehen. Und die
Handlung entfaltete sich in der That
zwischen den ersten Blüten und den ersten
thaubeglänzten Blättern. Isabella, die arme
Wahnsinnige, sprach mit den Blumen und
erfasste wie eine Schwester ihren grünen-
den Traum; Virginio schien wie ein Sohn
des Lenzes von weit durch die Hecken
und Gestade »ganz sonngetränkt und neue,
strahlende Schönheiten verkörpernd« her-
beizukommen; sein Schweigen schien
Dinge zu sagen, die nur »Wasser und
Gräser und Blüten zu sagen wissen — —«
Doch dem ist nicht so im Sogno di
un tramonto d’autunno,* der neuesten
Tragödie des Dichters, deren Handlung
sich an den Ufern des Brenta an einem
zur Neige gehenden Herbsttage entfaltet:
sie scheint hier von verzehrender Flamme
umzüngelt, die Seelen verschmachten in
der Glut der Begierde wie überreife
Früchte, die von den zu sehr beladenen
Zweigen fallen und sich in den vom
Sonnenuntergang purpurroth gefärbten
Gewässern spiegeln.
D’Annunzio hatte bereits ein anderes-
mal die bräutliche Verbindung des Herbstes
und Venedigs bewundert;** er hatte
bereits ein anderesmal von den lauen
Ufern der Schiavoni aus jenen in den
Lüften schwebenden Lebensgeist geschaut,
der »aus leidenschaftlicher Erwartung und
verhaltener Glut besteht«. Da streckte
Venedig seine marmornen Arme dem wilden
Herbste entgegen, dessen feuchter, vom
köstlichen Tode der fernen Gefilde durch-
dufteter Athem ihm entgegenschlug.
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Da nun die Seele Venedigs herbstlich
ist — auch Paolo Veronese stellte sie also
umschattet im Dogenpalast dar —, konnte
keine andere Gegend als die venetianischen
Gestade des Brenta einen besseren Schau-
platz für jenes grausame Liebesglühen
liefern, wie es d’Annunzio erdachte und
wiedergab.
Die Scene zeigt einen Flügel der
Villa, den die erhabene Witwe des Dogen
Gradenigo bewohnt; der marmorne Bau
ist kreisförmig, ähnlich jenem venetiani-
schen, angeblich dem Bovolo gehörigen
Palaste in der Corte Contarina, in dem
die Säulen und die Stiegen einen anmu-
thigen Schneckenbau bilden. Am Ende
der luftigen Stiege ist eine für den Zu-
schauer unsichtbare Loggia, von wo aus
man den ganzen Fluss und die weiten
Gefilde überschaut; eine Stimme verkündet
wie die einer Wache von oben die Er-
eignisse, die jenseits der hohen Mauern,
jenseits der wunderbaren Gärten tragisch
aufeinanderfolgen; durch diese herbe weib-
liche Stimme erfährt der Zuschauer die
Aufeinanderfolge der Ereignisse und Fär-
bungen auf dem Flusse und am Horizonte,
die drohende Nähe der Katastrophe; diese
Stimme erläutert die Handlung in kurzen
Sätzen und kündigt an, — so wie der
griechische Chor warnte, die erhabenen
Gefühle, die peinigenden Leidenschaften
erklärte; von Zeit zu Zeit erhebt sich über
den Kampf, der sich vor den Augen des
Zuschauers entfaltet und beschleunigt, die
Stimme der Zofe Pentella, die scharf ist
wie ein Pfeil und offenbarend wie die
Fackel in der Hand der verhängnisvollen
Erinnye; und aus diesem steten Gegensatz
zwischen dem äusseren Schauspiel, das
wie das Fatum die Angst zeitigt und dem
Schrecken, der Wuth, die in den Seelen
der die Handlung belebenden Personen
lodern, entsteht eine fürchterlich tragische
Vision, die sich am Wiederschein jener
Farbenschattierungen erhellt, die auf dem
Flusse und am Horizonte abgetönt all-
mählich ersterben.
Beim Beginn der Handlung sieht die
Dogaressa Gradeniga aus dem Gitter, um
einige der weiblichen Spione zu erspähen,
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