Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 11, S. 258

Jan Toorop I. (Zilcken, Ph.)

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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 11, S. 258

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ZILCKEN: JAN TOOROP.

die Bildhauer Julien Dillens und Jef Lambaux
angehörten. Hier wurde der »Respect à la
Mort« ausgestellt und hier erregte er, wie
später in Spaa, grosses Aufsehen; man
könnte nicht behaupten, dass das etwas
trocken gemalte, aber charaktervolle und
helltonige Bild unter dem directen Ein-
flusse eines oder des anderen Malers steht.
Dies war sein erster Erfolg! Später
tauschte er das Bild durch Vermittlung
eines Pariser Kunsthändlers, in dessen Be-
sitz es sich noch befindet, gegen japanische
bordierte Stoffe ein. Nun brach eine inter-
essante Periode für Toorop an: in Brüssel
bereitete sich schon seit einiger Zeit eine
Reaction gegen die herrschende con-
ventionelle Kunst vor. Um junges Leben
und reiches Blut in die alten Zustände zu
bringen, entstanden Künstlervereine nach
Art des »Essor«.

So bildete sich aus den Abtrünnigen
des »Essor«, der die verschiedensten Ele-
mente umschloss, unter der Leitung des
hochbegabten und reichen Advocaten
Edmond Picard und unter der thätigen
Hilfe von Octave Maus eine Elitevereini-
gung jugendlicher Streitkräfte, die bis auf
zwanzig anwuchsen und auf Anstiften
Toorops die »Société des Vingt« for-
mierten. Zu diesen »XX« gehörten neben
Toorop: Fernand Khnopff, James
Ensor, de Groux, Vogels, Constantin
Meunier, Theo van Rysselberghe,
Willy Finch u. a. Die Vereinigung be-
schränkte sich nicht durch staatliche
Grenzen, sondern lud alljährlich die her-
vorragendsten Künstler, Schriftsteller und
Musiker des Auslandes ein und erwarb
sich so ein nicht geringes Verdienst um
die europäische Wiederbelebung der Lite-
ratur und Musik. Ihre erste Ausstellung
fand 1884 in den von der Regierung
bereitwillig zur Verfügung gestellten Sälen
des Musée Ancien statt. Sie machte Epoche
in der Kunst, so gut wie anno 1830 die
erste Aufführung des »Hernani«. Die
»Vingt«zählten unter ihre Mitglieder
alle Kräfte, die, ganz wie 1830, bereit
standen, mit ungewöhnlicher Begeisterung
den Streit um die Freiheit in der Kunst
zu beginnen.

Die alte Garde der Maler war höchst
erbittert gegen diese kecke Manifestation
begabter, unternehmender Künstler, die

conservative Presse von belgischer Heftig-
keit in ihren Ausfällen. Als Tollhäusler
wurden die »Vingt« ausgeschrien und
auf den Strassen kleine Broschüren um
fünf Centimes verkauft, worin man die
Neuerer auf das bitterste verhöhnte. So
trat unter einem enormen Oppositions-
rummel der junge Club ins Leben, einer
der ideenreichsten, der je bestanden, ein
Club, zu dessen Ausstellungen eingeladen
zu werden Maler, wie Jozef Israëls, Thijs
Maris, Jacob Maris, Mauve, Mesdag,
Breitner, van der Maarel als eine Ehre
betrachteten. Toorop stellte dort u. a. »La
Dame en blanc« aus: eine schlanke,
blonde Frau in einem hellen, zarten,
heiteren Interieur. Dies Bild trug mehr
noch als die ersten Werke zur Befestigung
seines Namens bei. Verkaufen konnte er
indes nur wenig und dies nur zu niedrigen
Preisen. Mit Henry de Groux, einem
seiner Brüsseler Freunde, der noch ärmer war
als er, siedelte er sich in Machelen-Haeren,
einem der malerischesten, echt ländlichen
Gehöfte bei Brüssel, an, inmitten einer
gemüthlichen Landbevölkerung, unter der
sich nur höchst selten ein Brüsseler
zeigte.

Hier führten sie ein einfaches Leben
der Arbeit, nur selten durch lange Wan-
derungen nach Brüssel unterbrochen. Zahl-
lose Studien nach der Natur entstanden
damals, wurden aber aus Geldnoth oft zu
Dutzenden für 100 Francs an reiche,
aber engherzige Mäcene Brüssels verkauft.
De Groux arbeitete hier an einem Kolossal-
gemälde »Récolte de pommes de terre«
und Toorop an einem »Faucheur« und
einem »Après l’Enterrement«, die für die
Brüsseler Ausstellung bestimmt waren.
Sowie der Dorftischler mit dem Rahmen
fertig war, wurde ein Bauer ersucht, die
Bilder nach der Stadt zu fahren; in dem-
selben einfachen, offenen Wagen nahmen
auch die Maler Platz, um noch im letzten
Augenblicke des Einsendungstermines ihre
Bilder an Ort und Stelle zu bringen. De
Groux’ Bild wurde angenommen. Toorops
»Faucheur« zurückgewiesen und »Après
l’Enterrement« nur nach vielen Discus-
sionen acceptiert. Alfred Verwee, der kraft-
volle Thiermaler, war das einzige Mitglied
der Commission, das Toorops Werk ver-
theidigte und bewunderte. Nach diesen

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 11, S. 258, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-01-11_n0258.html)