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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 11, S. 261

Text

VANCSA: HUGO WOLF.

Mörike (»Der Knabe und das Immlein«)
sang »Im Weinberg auf der Höhe ein
Häuslein steht so windebang«, so sah er
wohl dieses stille Nestchen vor sich. Die
Eichendorff’schen Lieder wurden bei ein-
samen Kahnfahrten auf dem Attersee er-
sonnen, an dessen Gestaden ihm das
Pfarrhaus zum Musenheim wurde. Alles
ist zumeist in einem Zuge hingeworfen,
ohne von einer Correctur unterbrochen
zu werden.

Wie schon erwähnt, hat Hugo Wolf
ausser dem Liede auch noch andere
musikalische Gebiete betreten. Von den
Chören wären noch zwei der bekanntesten
Schöpfungen zu nennen: ein Frauenchor
mit Sopran-Solo und Orchesterbegleitung,
das »Elfenlied« aus Shakespeares
»Sommernachtstraum« und insbesondere
das meisterhafte, packende Chorwerk mit
Orchester »Der Feuerreiter«, das übrigens
doch ursprünglich für eine Einzelstimme
geschrieben war. Am meisten zog ihn
die Bühne an — oder soll ich sagen: ab?
Von einer Musik zur »Penthesilea« aus
seiner frühesten Schaffenszeit sprach ich
schon. Im Jahre 1891 schrieb er die
Bühnenmusik zu Ibsens romantischem
Jugendwerk »Das Fest auf Solhang« —
sie bestand aus einer Ouvertüre, Orchester-
zwischenspielen, Chören und Einzelgesängen
für Sopran und Baryton. Verschwand das
Stück nach wenigen Aufführungen, so feierte
doch Wolfs Musik später eine erfolgreiche
Auferstehung im Concertsaale. Im Jahre
1895 gelang es ihm endlich, den gewal-
tigen Schritt zum Musikdrama zu thun.
Auf dem Sommersitze eines Berliner
Kunstfreundes in Tirol componierte er
seine vieractige Oper »Der Corregidor«,
für welche ihm Rosa Mayreder-Ober-
mayer
das Buch nach der Novelle »Der
Dreispitz « des spanischen Dichters Alarcon
geschrieben hat. Am 7. Juni 1896 fand
das Werk bei seiner Erstaufführung, die
natürlich nicht in Wien, sondern in Mann-
heim stattfand, eine solch’ warme Auf-
nahme, dass Wolf sich sofort abermals
einem dramatischen Stoffe zuwendete.
Moriz Hoernes bearbeitete für ihn eine
zweite Novelle Alarcons »Manuel Vene-
gas«. Leider hat die tückische Krankheit,
die im Jahre 1897 den Tondichter ergriff,
diese Schöpfung unterbrochen.

Welche Gebiete auch Hugo Wolf
erfolgreich berührt, epochemachend wurde
er nur für die Lyrik.

Als oberster Grundsatz für sein ganzes
Schaffen gilt ihm wie Richard Wagner
die vollständige Durchdringung und Ver-
schmelzung von Dichtung und Musik.
Das mag vielen jetzt, da dies und ähn-
liches der modernen Generation bereits
als Schlagwort geläufig geworden, selbst-
verständlich erscheinen, war es aber nicht
immer. Den Liedercomponisten waren vor-
dem die Dichtungen entweder nur Erreger
von Stimmungen oder sie suchten die
Gesammtstimmung des Gedichtes in Tönen
wiederzugeben. Solche allgemeine Stim-
mungen gibt es aber bekanntlich nur sehr
wenige, daher die verhältnismässig geringe
Abwechslung im Ausdruck, daher die Be-
schränktheit der Stoffwahl, welche sich
überwiegend mit dem Thema: Liebes-
lust und -Leid erschöpft, daher endlich
auch die so häufigen Vertonungen minder-
wertiger Gedichte, da eben gerade der
mittelmässige Dichter am Allgemeinen
und Conventionellen haften bleibt. Von
manchem Componisten ist es ja bekannt,
dass er erst nach den ersonnenen Melodien
irgend einen entsprechenden Text suchte.
Zu vielen Melodien können verschiedene
Texte gesungen werden, wie wir dies im
kleinen schon bei jeder strophischen
Gliederung sehen. So hat das Kunstlied
noch immer das Volkslied nachzuahmen
gesucht, auch dann noch, als es schon längst
dessen Bestimmung, vom Volke bei ge-
wissen Anlässen gesungen zu werden, mit
der rein concertmässigen Wiedergabe ver-
tauscht und schon längst dessen Naivität
und Einfachheit verloren. Nur den Grössten
gelang es, sich von dem herkömmlichen
Empfindungs- und Formenzwang freizu-
machen und in ihrer Charakterisierung bis
zum Individuellen vorzudringen und auch
dann war es mehr eine unbewusste That
des Genius, als die zielbewusste Durch-
führung eines künstlerischen Grundsatzes.
Mit dieser allgemein gehaltenen Stimmungs-
lyrik hat Hugo Wolf gründlich gebrochen.
Er folgt darin dem vielleicht bedeutendsten
Zuge der modernen Dichtung und Kunst,
dass er von den allgemein typischen
Empfindungen zu der Schilderung jener
complicierten Regungen und deren feinen

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 11, S. 261, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-01-11_n0261.html)