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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 12, S. 279

Text

JAN TOOROP.
Nach persönlichen Mittheilungen des Künstlers.
Von Ph. ZILCKEN.
II.

»C’est une idée assez répandue parmi le public que les romantiques qu’ils soient
poëtes, peintres ou musiciens, s’affranchissent des règles parce-qu’ils ne les ont pas apprises
ou sont trop inhabiles pour n’en être pas gênés. Rien de plus faux: les novateurs ont tous
possedé une science technique profonde. Pour réformer, il faut savoir Le soin rigoureux
de la forme et de la couleur, les difficultés d’architectonique, la nouveauté de détail qu’ils
s’imposaient demandaient un bien autre travail, que la soumission aux vieilles règles reconnues
et souvent peu observées.« Th. Gautier (»Notices romantiques«).

In London schloss Toorop Bekannt-
schaft mit James Whistler. Oft kam er
in sein weisses Atelier zu Chelsea und
einmal hatte er mit ihm und dessen
Freunde Pablo de Sarasate eine ausge-
dehnte Discussion über Turner, den
Toorop als den grossen Vorgänger der
modernen Kunst betrachtete und der noch
mehr als Constable und Crome den
Malern den Anstoss gegeben hatte, mit
jeglichem Conventionalismus zu brechen
und so den schönen, sensiblen »Impres-
sionismus
« der Modernen entstehen zu
lassen. Doch mehr noch als der Verkehr
mit Künstlern eigenartigen Talents zog
ihn die Themse und namentlich das Leben
Londons an. Vieles skizzierte er, so u. a.
arme Strassenmusikanten, und auch be-
deutendere Bilder schuf er, die seine Be-
strebungen in dieser Periode erkennen
lassen. Das waren seine »Thames« (jetzt
in einer Sammlung zu Arnhem), ein Por-
trät seiner künftigen Schwiegermutter, und
das »Trio fleuri«, drei lebensgrosse Frauen-
gestalten in einem Garten. Die beiden
ersteren sandte er in eine Ausstellung
(»Arti et Amicitiæ«) zu Amsterdam, wo
aber nur die »Thames« angenommen
wurden. Herr Ahn in Haag besitzt noch
einige Studien aus dieser Londoner Periode.

Materielle Erfolge konnte er noch nicht
verzeichnen! In London hatte er vergebens
versucht, Zeichnungen aus Machelen-Haeren
an Kunsthändler zu verkaufen; sie wollten
von seiner Kunst nichts wissen. Häufig
gieng er daselbst in eine Kirche, die mit

Glasmalereien von Burne Jones ge-
schmückt war, und wo des Abends Bach
gespielt wurde. Dieses herrliche Milieu
inspirierte ihn zu den bekannten Zeichnungen
»Orgelklänge« und »Sacred Home«, die
erst später ausgeführt wurden.

Grossen Einfluss übte die Lectüre
des »Art and Socialism« von William
Morris auf ihn aus. Dieses hohe Werk
des genialen Dichters, Ornamentisten und
Socialpsychologen nahm ihn völlig ge-
fangen. Zu Willy Finch, der zufällig in
London weilte (und gegenwärtig so
schöne farbige Töpfereiproducte fertigt),
sagte er: »Sie werden später schon
mehr hören von diesem Morris, und wo
er hinaus will!« Finch lachte damals. Jetzt
ist die Bewegung, die der grosse Morris
angefacht, über den ganzen Erdball ver-
breitet und kein wirklich gebildeter Mensch
kann sich seinem Einflusse entziehen. Auch
Ruskins Werke studierte Toorop, und
zwar auf Whistlers Rath, obzwar der
letztere mit Ruskin stets in Streit war.
Toorop fand sie zwar schön geschrieben,
im Grunde aber schätzte er Morris höher.

Von London gieng er von Zeit zu
Zeit nach Brüssel, seinem eigentlichen
Wohnorte, wo er im Februar 1886 bei
den »XX« eine sehr grosse Anzahl seiner
Londoner Werke ausstellte, die heftig ange-
griffen, doch von Verhaeren, Maus und
Georges Destrée vertheidigt wurden. Im
Frühling des nämlichen Jahres verheiratete
er sich zu Kenley und siedelte sich mit
seiner Frau in Holland an. Im Haag machte

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 12, S. 279, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-01-12_n0279.html)