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Toorop viele kleinere Sachen, die im all-
gemeinen nicht gewürdigt, aber von
dem geschmackvollen und unternehmenden
Kunsthändler Van Wisselingh angekauft
wurden. Nur ein grosses Werk wurde
während dieses achtmonatlichen Aufenthalts
begonnen: eine sehr grosse Freske für
die Maison du Peuple zu Brüssel, wovon
nur ein Bruchstück, eine Zeichnung, voll-
endet wurde, die zwei lebensgrosse Arbeiter
darstellt und jetzt zu London in der Samm-
lung des Herrn Drucker sich befindet.
Nun kommt die dunkelste Periode in
Toorops Leben. Abgespannt und hart mit-
genommen von dem nervösen, leidenschaft-
lichen und ungeregelten Leben der letzten
Jahre, trug er in sich die Keime einer
höchst ernsthaften Krankheit, die plötzlich
ausbrach. Die allgemeine Erschöpfung
seines Nervensystems griff auch eines seiner
Augen an. Doppelt schmerzlich traf ihn
nun der Tod seines erst geborenen und
einzigen Kindes. Nicht mehr imstande, zu
arbeiten, wurde er hoffnungslos, rathlos.
Allmählich aber rettete ihn der Ein-
fluss der Natur, die ihn umgab. Von
Amerongen, wo er sich vorübergehend
niedergelassen hatte, zog er nach Brüssel.
Der dortige Augenarzt, Coppée, gab alle
Hoffnung auf, ihn zu retten. Nur sein
alter Doctor, de Smeth genannt, verlor
nicht alle Zuversicht. So wurde Toorop
nach dem Hospital Saint-Pierre gebracht,
wo seine wunderbare Genesung alle Ärzte
in Verwunderung setzte. Hier empfieng
er die Botschaft vom Tode seines Vaters.
Nach einiger Zeit nahm er in der Rue
van Eyck Wohnung und begann langsam
und bedächtig wieder zu arbeiten; zugleich
vertiefte er sich in literarische Studien,
las Thomas a Kempis, Kropotkin, Gogol,
Tolstoi, Dostojewski, beschäftigte sich
gründlich mit den Veden, um schliesslich
über Dante zu den letzten Etappen der
Mystik und dann aufs neue zu den Ideen
des Morris zu gelangen. Auch verkehrte
er viel mit Musikern und lernte einige
Schüler César Francks kennen, so Vincent
d’Indy, Gabriel Fauré, Chausson. Chausson
kaufte verschiedene seiner Bilder an und
besitzt unter anderen die »Annonciation
du Nouveau Mysticisme«, die 1892 im
Haag entstand. Auch Richard Wagners
Werke studierte Toorop auf das genaueste.
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In dieser Zeit hatte das Streben des
sehr bemerkenswerten, allzu jung ver-
storbenen Seurat Einfluss auf Toorop,
der ungeachtet der etwas trockenen Mal-
weise des jungen Künstlers die zarte
Farbe seiner Bilder und seine enorme
Arbeitskraft bewunderte. Seurat ist der
erste »Neo-Impressionist« gewesen.
Dieser Terminus wurde später als Kampf-
losung angenommen. Zunächst von einer
Anzahl Pariser Maler, die nach Bekannt-
schaft mit einem höchst merkwürdigen
Buche über die Theorie der Farben
aus der Feder des amerikanischen Ge-
lehrten O. N. Rood (Professors der Natur-
wissenschaften am Columbia - College zu
New-York) mit Eifer daran giengen, die
ursprünglichen, spectralen Farben unzer-
theilt und in der Form sehr kleiner
Tüpfel auf die Leinwand zu setzen. So
trachteten diese Maler, zu denen Claude
Monet, Pissarro, Sisley und andere
gehören, eine grössere Leuchtkraft und
Vibration ihrer Farbencompositionen zu
erreichen. Merkwürdig ist dies Streben,
und Maler, die — wie Toorop — von
Natur aus ein feines Gefühl für Farbe
hatten, erreichten sehr schöne Effecte da-
mit. Ich erinnere mich lebhaft, in dem
einfachen Atelier Toorops in der Rue van
Eyck seine ersten, blass-harmonisch ge-
stimmten Versuche in dieser Malweise ge-
sehen zu haben.
In der Absicht, sich ruhig diesem
Studium widmen zu können, zog er sich nach
Linmouth in Devonshire zurück. Die ersten
Arbeiten, die er hier machte, glaubte er
durch die Antithese von reinem, unzer-
legtem Gelb, Blau, Grün und Roth zu
einer starken Farbenwirkung steigern zu
können; verwundert war er, als sie im
Gegentheil sehr blass und zart im Tone
ausfielen. Eines der schönsten Werke, die
»Bai von Linmouth«, befindet sich im
Besitze des Herrn Cordeweener zu Brüssel.
In dieser Manier malte er auch die
»Abenddämmerungs-Idylle« in der Samm-
lung E. Picard und die »Moorlandschaft«
(Broek in Waterland), entstanden nach
einer kurzen Reise durch Holland in Ge-
sellschaft von Emile Verhaeren. Auch zwei
Pendants »Vor-« und »Nach der Arbeits-
einstellung«, Werke, deren Motive er in
der finsteren Gegend von Charleroi zur
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