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Es ist in jüngster Zeit förmlich zur
Redensart geworden, die Pianistenfrage
kurz damit abzufertigen, indem man sagt:
»Das Clavier interessiert mich nicht«. Was
aber schlimmer ist wie Redensarten, und
was mancher wohlgeschulte Pianist in
München zu seinem bitteren Nachtheile
erfahren musste: Das Wort wird zur
negativen That. Er sieht nämlich sein
Concert mit knapper Noth von Freunden
und Bekannten, etlichen alten Leuten und
den obligaten Kritikern besucht, die am
nächsten Morgen ihr Bedauern über den
»leeren Raum« zu Drucke bringen — und
das eigentliche Publicum bleibt weg. Der
Künstler selbst wird diese seine moderne
Unpopularität natürlich nicht ohne Er-
bitterung wahrnehmen und sich nicht sehr
erbaulich über die alte Musikstadt und ihr
gepriesenes Entgegenkommen äussern.
Nun gehe ich von jener alten para-
doxalen Wahrheit aus, dass sich zwar in
der Masse Irrthum und Unverstand wie
von selbst potenzieren, dass aber trotz-
dem das Publicum in seinen Sympathien
Recht behält, und es sich jedenfalls der
Mühe lohnt, nach dem Grunde zu forschen,
wenn es sich einer öffentlichen Kundgebung
gegenüber hartnäckig abgeneigt verhält.
Ich möchte hierin für das Münchener
Publicum sogar eine gewisse Unbeirrbar-
keit beanspruchen, und gewiss birgt diese
Stadt ein nennenswertes Contingent wirk-
licher Musikkenner. Ohne mit dem Finger
darauf weisen zu können, fühlt man es
bei Gelegenheit deutlich durch, und dieses
Contingent sichert dort dem Grossen und
Echten, selbst wenn es neu und unge-
wohnt ist, fast immer den Sieg.
Nun ist München merkwürdigerweise
eine geradezu pianistenfeindliche Stadt ge-
worden, und ohne die Gründe ihrer Ab-
neigung lange zu analysieren, ist sie ihnen
im vornherein abhold; ja, die Pianisten
zählen dort allgemach zu den verdrossenen
Typen, und es ist jetzt Mode, die einst
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so Gefeierten trotz ihrer bedeutsamen
Haartracht zu ignorieren. Da jedoch eine
Abneigung, um sich selbst gerecht zu
werden, stets motiviert werden sollte, so
sei hier der Versuch gemacht, die eigen-
thümliche Stellung zu bezeichnen, welche
das Clavier heutzutage in künstlerischer
Hinsicht einnimmt, und welche wir am
besten gleich im voraus eine »schiefe
Stellung« nennen wollen, um das Wort
später erläutert zu sehen.
In der Musik sind wir anerkannter-
massen das erste Volk der Welt. Was wir
aber mit dem Clavier angefangen haben,
oder vielmehr, was wir daraus werden
liessen, damit ist wieder einmal ein Beweis
geliefert, wie leicht uns der simple gute
Geschmack im Stiche lässt. Wir Deutschen
stehen überhaupt mit dem Geschmack
und was er im höheren Sinne bedeutet:
Formensinn und Grazie, auf etwas ge-
spanntem misstrauischem Fusse und fühlen
uns nicht ungeneigt, dies alles als frivol
zu taxieren. Kommt uns aber dann ein-
mal der künstlerische Takt abhanden, so
sind wir uns zwar wohl unseres künstle-
rischen Ernstes, aber, eben weil wir des
Taktes vergassen, unserer Schwerfälligkeit
nicht bewusst — und nur so ist es mög-
lich, dass ein Übel, ein grober Irrthum,
der sonst unserer ganzen Richtung wider-
spricht, sich auf eine wirklich ungeheuer-
liche Art auswachsen und verbreiten konnte.
Auf besagte Weise ist nun in dem musi-
kalischen Deutschland das Clavier von
seiner ursprünglichen Bestimmung abge-
kommen, hat sich eine Stellung ange-
masst, die ganz und gar nicht die seine
ist, und wurde, nachdem es auf diesem
neuen Boden das Publicum eine Weile
verblüffte, von ihm verpönt. —
Diesem beklagenswerten Verfall — der
Folge rein äusserlicher Gründe — sollten wir
nach Kräften entgegenwirken. Unsere gröss-
ten Classiker haben nicht umsonst in edler
Würdigung dieses Instrumentes ihre herr-
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