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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 12, S. 281

Text

ZILCKEN: JAN TOOROP.

Zeit der Streiks monatelang studiert hat.
Das letztere dieser Bilder befindet sich im
Haag in der Collection Titsingh, die u. a.
viele Zeichnungen und Aquarelle von Toorop
besitzt, während das erstere in einem für
Toorops Werke eigens eingerichteten Zim-
mer bei Herrn Hidde Nijland in Dordrecht
zu finden ist, wo sich die Bilder inmitten
hochgrüner Möbel — von gelber Seide
abheben.

Nachdem er sich nun geraume Zeit
mit Hilfe des tüchtigen Jean Blocx in das
Studium der ursprünglichen Farben ver-
tieft hatte, gieng er nach Holland, um die
Ausstellung alter Kunst in »Pulchri Studio«
zu sehen, wo es ihm infolge seiner jüngsten
Studien zu Bewusstsein kam, dass schon
der Delfter Vermeer (ganz aus natür-
lichem Instinct!) zum Phänomen der com-
plementären Farben vorgedrungen war.
Dies offenbarte ihm der Mädchenkopf aus
der Sammlung Des Tombes, auf welchem
Bilde das gelbe Kopftuch, dem blauen
Leibchen complementär, den Fleischton so
herrlich zur Geltung bringt. Und wahr-
haftig, in der bekannten Stadtansicht
(Delft) im »Mauritshuis« hat dieser geniale
Vermeer das Tüpfeln und Sprenkeln intuitiv
angewendet: in den Bäumen, Häusern und
Schiffen wenigstens hat er einzelne Häuf-
chen von Gelb, Weiss, Blau und Roth
unvermischt neben einander gesetzt, in
der Absicht, mehr Kraft der Farbe und
des Lichtes, mehr Vibration zu erreichen.

Nach dieser Excursion entstanden die
bekannten Werke »Melancholie«, »Sacred
Home« und »Orgelklänge« (1888—89).
Schon geraume Zeit trachtete Toorop
darnach, eine Ausstellung der »XX« in
Holland zu organisieren. Dies glückte ihm
nun in Amsterdam. Diese Ausstellung war
ein Ereignis auf dem Kunstgebiete; die
Tagesblätterkritik aber zeigte sich im all-
gemeinen sehr feindlich und gab recht
unzweideutige Beweise ihres Unverstandes.
Neben Toorop (»Broek in Waterland«,
»Abenddämmerungs-Idylle«) stellten hier
u. a. Van Rijsselberghe, Guillaume Vogels,
Lemmen, Henry de Groux, Dario de
Regoyos und Van Strijdonck aus und Jan
Veth schrieb in »De Nieuwe Gids« eine
vortreffliche Studie über dieses Kunst-
ereignis. Bald darauf (Mai 1890) verliess
Toorop Brüssel und liess sich mit seiner

Familie in Katwijk aan Zee nieder,
wo er viel ruhiger als in dem nervösen
Milieu von Brüssel zu arbeiten vermochte.
Hier wurde ihm ein zweites Töchterchen
geboren.

Später veranstaltete er bei dem Kunst-
händler Oldenzeel in Rotterdam eine Aus-
stellung verschiedener Bilder, die er in
Katwijk ausgearbeitet hatte. Unter diesen
die »Hetäre« (Sammlung Hidde Nijland),
die »Aprilsonne« (Carl Henny, Haag),
»Le Vieux Songeurs crédules«, die
»Dünen-Wanderer«, (die letztgenannten
Gemälde in der Sammlung des Malers
Roll zu Paris) und die bekannten Gegen-
stücke aus dem Frühjahre 1891: »Trans-
port eines Dielenschiffs« und »Ausfahrt
eines Dielenschiffs«, von denen das eine
Frau Bilders-Van Bosse, das andere
Herrn Hidde Nijland gehört. In der
»Flut« aber, die gleichfalls dem Frühjahre
1891 entstammt, sucht Toorop, von der
Malweise der Pariser Neo-Impressionisten
aus, durch grössere Reinheit der com-
plementären Farben sanftere Milde des
Colorits und feinere Wahrnehmung zu
einer neuen Harmonie zu gelangen. Über
diese Ausstellung hat Johann de Meester
einen charakteristischen Artikel im »Nieuwe
Rotterdamsche Courant« geschrieben. So
kam es, dass Toorop in einer späteren
Exposition der »XX«, die ihm viel
Erfolg brachte, von französischen und
belgischen Collegen gefragt wurde, welche
Farben er denn eigentlich zu seinen Bildern
gebrauche. Wie erstaunt waren sie nun,
vernehmen zu müssen, dass es die näm-
lichen seien, die sie selber benützt und
die Jean Blocx verfertigt hatte.

Aus der Vertiefung in diese Studien
entwickelte sich auch die symbolische
Richtung Toorops, die schon in den
»Orgelklängen« und in »Melancholie«
hervortrat, in der Utrechter Gruppen-
ausstellung (1891) sehr besprochen und
von Jan Veth prächtig beschrieben wurde.
Diese Richtung äussert sich später, doch
schärfer accentuiert, im »Tuin der Weeën«
(Garten der Leiden — Sammlung Van
Eelde, Utrecht), inden »Rôdeurs« (Dr. F. van
Eeden) und in der »Jungen Generation«
(vollendet Februar 1892). Ebenfalls in
diese Periode gehört »Hölle und Zweifel«
(Sammlung Ary Prins).

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 12, S. 281, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-01-12_n0281.html)