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wobei denn keine tröstliche Hand das
Zudrücken und Erwecken besorgt — ist
ja die einzige Berufsthätigkeit des Künstlers.
Denn dieses Öffnen, Schliessen, Öffnen,
Schliessen und wieder Öffnen und wieder
Schliessen in sanft beseligendem, auf-
rüttelndem Takt erzeugt, indem es Blut-
bächlein löst, die räthselhafteste Bewegung
in Seele, Aug’ und Herz. Die Seele lernt
das Athmen. Ihr Hauch wird Melodie.
Wird Tanz, Duft, Ton — und rauscht wie
Flügelschlag über Klüfte, Gletscher, Meere.
Und Leid wird Lied, ja, Lied — und
Wein strömt aus den Thränen.
— — Evoë, Kamerad, lass uns
glücklich sein, dieweil wir leiden! Lass
uns das Leid hellenisch nehmen, wie vor
Zeiten; lass uns den letzten Tropfen seiner
so herben, doch feurig flammenden Schön-
heit mit trockenen Lippen aus all den
bitteren Kelchen dieses Lebens schlürfen
und lass uns Christum, den dürren Tänzer,
aufjubelnd in einen Sarg voll dunkler
Rosen legen.
Evoë! dass ich im Leiden liege!
Wer will es sagen,
Dem Himmel klagen,
Dass ich wie trunken mich weinend wiege?
Die Stunden schreiten
Wie dunkle Flore,
Leis’ aus den Weiten
Flüstern die Chöre
Kühlende Sänge und
Schlummern ein.
Die Stunden treiben,
Die Wunden bleiben,
Mein Licht ist Leiden
Und Leid ist Wein.
Und vielleicht gibt es dieses Leid
nicht, unter dem wir stöhnen? Vielleicht
humpelt es gar nicht in unserer Mitte, ob-
zwar wir seine Macht an unseren Wunden
erkennen? Vielleicht ist unser Auge nur
umwölkt, weil uns die trübe Entwicklung
der Jahrhunderte und all die stets ver-
erbten, engen Menschlichkeiten und Zu-
sammenhänge den traurigen Flor in die
Seele getragen? Vielleicht ist unser Auge
noch umwölkt und irrt und lässt sich
täuschen? Vielleicht aber gibt es hohe
Tage in der Entwicklung des Menschen,
Festtage in der Entwicklung der Mensch-
heit, da sich der schattende Flor zu
Rosenduft verflüchtigt, verflüchtigen muss,
weil all die trübe Enge des anerzogenen
Blicks auf Augenblicke schwindet? Viel-
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leicht gar sollen wir diese hohen Tage,
da die Hülle sich lichtet, mit all der
Innigkeit unserer zähesten Triebe herbei-
zwingen? Und vielleicht ist Der nur des
Lebens würdig, der immer strebend sich
bemüht, die Dunkelflöre seiner Sinne
melodisch zu heben?
Mit angelaufenen Augen kommen
wir auf die Welt; trüb, irr, angstvoll
blicken wir, wie junge Thiere, und wissen
nicht, wie uns geschieht, indes sich die
goldene Sonne zum erstenmal in unserer
Seele spiegelt. Aber der Rauhreif in unseren
Augen bleibt — bleibt jahrelang, lebens-
lang und wird mit uns begraben. Und
dennoch hätte sich der böse Schleier
leicht lösen können, wie die Morgen-
dämmerung lehrt, da nur eine allmähliche
Klärung der Seele nöthig ist, um ihn —
von innen her — zum Schwinden zu
bringen. So aber haften wir an uns selbst,
leiden an unserer eigenen Last,
neigen uns dem Geist der Schwere,
schlagen uns selber ans Kreuz, seufzen,
weinen, verbleichen — und fühlen nicht,
dass es keinen Schmerz ausserhalb
unserer Wesenheit gibt, fühlen nicht,
dass jedes Leid des Lebens ein Mangel
unserer Seele, ein Manco unserer psy-
chischen Entwicklung und Erziehung ist,
fühlen nicht, dass jegliches Leid des
Lebens in jenem bänglichen Wahn ruht,
der uns in Krallen hält, keineswegs in
den Dingen draussen, die wir so schwarz
und blutig zu sehen glauben. Aber da
wir ihn nicht fühlen, schreckt uns dieser
Gedanke nicht — und sollte uns doch
eigentlich in Schauer treiben! Denn unsere
ganze Kümmerlichkeit und Erbärmlichkeit
liegt in ihm. Die grosse Erkenntnis liegt
in ihm, dass wir uns selber zwecklos
versingen und verthun und in unserer
bequemen Feigheit und Eitelkeit stets nur
von aussen her Brücken zu uns selber
schlagen, statt redlich von innen her das
lauterste Verhältnis zu den Dingen zu
finden. Es ist eben leider nicht wahr, dass
wir von uns selber ausgehen, die wir uns
scheinbar am nächsten liegen. Von einem
Punkte des Aussenraums läuft jeder
seinem Ich, wie ein Fremdling, in weiten
Schlangenwegen entgegen und stürzt
irgendwo auf halbem Pfade in eine Senk-
grube, eh’ er auf sich getroffen, oder
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