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Für das Bildungsbedürfnis des Volkes
sorgen ausserden fünf öffentliche Biblio-
theken, darunter die Landesbibliothek in
Reykjavik mit 40.000 Bänden und 3000
Manuscripten, sowie über 40 Lesevereine.
Daneben besteht eine Anzahl von Gesell-
schaften zur Herausgabe populärwissen-
schaftlicher und gelehrter Werke und
Zeitschriften, von denen wir nur die 1816
von Rask gegründete »Isländische Literatur-
gesellschaft« und die seit 1869 bestehende
»Gesellschaft der Volksfreunde« nennen
wollen.
In vollster Blüte steht auch das Zei-
tungswesen auf Island. Es erscheinen
dort gegenwärtig nicht weniger als 21
Zeitungen und Monatsschriften (darunter
auch mehrere Frauen- und Kinderzeitungen!)
Die älteste von ihnen, ein politisches Halb-
wochenblatt, feierte am 5. November 1898,
reicher an Abonnenten denn je zuvor,
das Jubiläum ihres 50jährigen Bestandes.
Einige Zeitungen haben sogar ihre eigene
Druckerei. Im ganzen besitzt Island jetzt
8 Buchdruckerpressen.
Die oben angeführten Daten lassen
bereits errathen, dass die Isländer eine
besondere Vorliebe für geistige Beschäf-
tigung besitzen. Diese Neigung bildet
einen ganz besonderen Charakterzug dieses
liebenswürdigen Volkes, den es sich jedoch
keineswegs erst mit dem Neuaufblühen der
Cultur angeeignet, sondern vielmehr noch
von der alten glücklichen Zeit her bewahrt
hat, die ja noch immer ein Hauptgebiet
seines Denkens beherrscht. Die ungemeine
Leselust der Isländer ist denn auch keines-
wegs nur auf das moderne Schriftthum
beschränkt, sondern erstreckt sich nicht
minder auf die alten Sagas, besonders
die sogenannten Isländergeschichten, jene
realistischen, in volksthümlicher Prosa mit
hochentwickelter Technik geschriebenen
Erzählungen der ereignisvollen Lebensläufe
isländischer Männer und Frauen, die auch
immer noch ein Lieblingsgespräch aller
Isländer bilden. Wohl ohne Gleichen ist
ferner des Isländers Interesse, nein: Be-
geisterung für die Dichtkunst im engeren
Sinne. Das ganze Volk kennt seine neuere
poetische Literatur genau und schwärmt
für seine Lieblingsdichter. Ein neues schönes,
besonders nach den schwierigen Regeln der
isländischen Poetik recht kunstvoll ge-
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formtes Gedicht geht, auch ungedruckt
und ungeschrieben, von Mund zu Mund
mit dem Lobe des Poeten, der oft längst
berühmt ist, bevor sein Liederheft einen
Verleger findet, wenn ihm dies überhaupt
gelingt. Über die Vorzüge der einzelnen
Dichter debattieren die Isländer mit dem-
selben Eifer, wie über wichtige Staats-
oder Gemeindeangelegenheiten. Ihre Vor-
liebe für die Dichtkunst tritt auch in ihren
häuslichen und geselligen Unterhaltungen
zutage, bei denen die Recitationen schier
endloser »Rimur« (gereimter Paraphrasen
der Sagas) und eigenartige Wettkämpfe
in Liedern eine hervorragende Rolle
spielen.
Aber die Isländer sind nicht nur be-
geisterte Verehrer der Poesie; sie betreiben
auch selbst die schwierige »Kunst Bragi’s«
mit solchem Eifer und Geschick und so
allgemein, dass es ans Wunderbare grenzt.
Die meisten von ihnen besitzen dabei ein
verblüffendes Talent, bei gegebenen An-
lässen Verse mit dem verwickeltsten Reim-
bau (End-, Binnen- und Stabreime) aus
dem Stegreif zu dichten. Wirkliche und
bedeutende Dichter, die in ihren Versen
lauteres Gold der Poesie ausmünzen, sind
gleichwohl auch auf Island nicht eben
zahlreich, aber es gibt deren verhältnis-
mässig genug und darunter einige ganz
besonders hervorragende.
Das Lieblingsgebiet der isländischen
Dichtung ist die Lyrik, und in dieser
ergiesst sich vor allem der glühende
Idealismus, der dem Isländer eigen ist.
Immer und immer wieder wird die heiss-
geliebte Heimat-Insel (»die Bergfrau«) be-
sungen, ihre bald liebliche, bald erhabene,
bald wilde Schönheit und ihre glorreiche
Vergangenheit — bisweilen mit wehmuths-
voller Klage oder bitterer Ironie über die
so sehr verschlechterten Verhältnisse der
Neuzeit und häufig in Verbindung mit
mannhafter Aufforderung zu kräftigem
Wirken für Volk und Vaterland. Das
Landleben mit seinen Reizen und Beschäf-
tigungen, das Seeleben mit seinen Ge-
fahren, die Jahreszeiten mit ihren ab-
wechselnden Annehmlichkeiten und Wider-
wärtigkeiten, die Thierwelt mit den lieben
Hausthieren: den Schafen, Hunden und
Pferden, mit den Singschwänen auf den
Hochgebirgsseen, dem kecken Raben und
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