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dem jedes Frühjahr freudig (als Sänger!)
begrüssten Brachvogel, dann die Freuden
der Geselligkeit und des Trunkes, das
Liebesleben, die Helden der heimatlichen
Geschichte und Sage, die vorzüglichen
Dichter, endlich allerlei Anlässe und Be-
gebenheiten im Familien- und Freundes-
kreise, wie Geburtstagsfeste, Hochzeiten,
Reisen, Todesfälle u. dgl. sind ebenso
häufige Motive der isländischen Dichtung.
Ganz besonders seien die Todtenklagen
hervorgehoben, das sind Lieder, die beim
Tode eines Verwandten, Freundes oder
einer bedeutenden Persönlichkeit gedichtet
sind und in denen der Verstorbene ge-
priesen wird. Sie sind ein Erbe aus der
alten heidnischen Zeit und erheben sich
zumeist hoch über diese Art von Ge-
legenheitsdichtung anderer Völker. Auf
Island blühte ferner von jeher die Hohn-
Dichtung in einer Weise, wie wir sie
sonst nur bei den alten Griechen finden, wo
die Lästerung (λοιδορία) ebenfalls zu einer
eigenen Kunstgattung geworden ist. End-
lich war bei den Isländern stets die reli-
giöse Dichtung sehr im Schwang, nicht
nur bei den geistlichen, sondern auch bei
den weltlichen Poeten.
Die isländischen Dichter sind also, wie
schon angedeutet, zumeist Idealisten und
erscheinen in diesem Jahrhundert nament-
lich von der Romantik beeinflusst, jedoch
weniger von der dänischen, als von der
deutschen. In den Achzigerjahren kam
dann bei den jüngeren Dichtern auch die
von Brandes nach dem Norden verpflanzte
realistische Richtung zum Durchbruch.
Trotz dieser fremden Einwirkungen blieb
jedoch der Kern der isländischen Dichtung
immer echt national. Von besonderem Reiz
und stärkster Kraft sind die patriotischen
und naturbeschreibenden Gedichte, dann
die Todtenklagen der Isländer, obgleich
jene wie diese von einer gewissen Mono-
tonie nicht freizusprechen sind.
Ein nicht geringes Interesse bieten
die isländischen Gedichte auch nach der
formalen Seite hin. Sie erscheinen noch
häufig in den alten Versmassen und
Strophenformen, theils im schlichten Ge-
wände der Eddalieder, theils im Prunk-
staat der kunstvollen Skaldengedichte. Aber
auch sonst ist ihr Versbau durchaus kunst-
mässig, und künstliche Satzverschränkungen
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sowie Umschreibungen von Begriffen sind
ganz allgemein. Ihre Sprache ist grund-
verschieden von der täglichen Rede. Man
hat mit Recht bemerkt, dass man sich
bei der Lecture isländischer Gedichte in
dieser Hinsicht nicht selten an Horaz er-
innert fühlt und sich in seiner Sprache
der Wirkung der isländischen Originale
oft näher kommen liesse als in unserem
Deutsch. Ausser der alten Poetik ist ferner
in der isländischen Dichtung noch immer
die alte (nordisch-germanische)
Mythologie lebendig. Erst die realisti-
schen Lyriker verschmähen — naturgemäss
— diese wie andere Reminiscenzen an die
alte Zeit.
Die bedeutendsten Lyriker in diesem
Jahrhunderte, welche die isländische Dicht-
kunst wieder auf die Höhe der Classicität
erhoben, sind Bjarni Thorarensen
(
1841) und Jónas Hallgrimsson
(
1847), beide voll glühender Vaterlands-
liebe und jeder in seiner Eigenart ein
begeisterter Lobsänger der Heimat und
ihrer Natur; Bjarni überaus kräftig, ge-
dankenvoll und phantastisch, Jonas mehr
innerlich, lieblich, melancholisch wie Heine,
dem er auch nachahmte, und meisterhaft
in Sprache und Form. Bjarnis Todten-
klagen sind wohl das Bedeutendste, was
die neuisländische Dichtung hervorgebracht
hat. Im gleichen Geiste wie die Genannten
dichteten volltönend und mit tiefer Empfin-
dung spätere Poeten, wie der humorvolle
Jón Th. Thóroddsen (
1868), der
düstere Pessimist Kristian Jónsson
( 1869), der kräftige, durch und durch
isländische Balladensänger Grímur Thom-
sen ( 1896), sowie die noch lebenden
Lyriker Benedikt Gröndal (genial-
phantastisch), Steingrímur Thorsteins-
son (weich und schwermüthig, aber auch
treffsicher in der Satire), Mathias Jo-
chumsson (volksthümlich- kräftig und
Sprachkünstler). Von den Realisten seien
genannt: Der lebenslustige, feurige Hannes
Hafsteinn, aus dessen Versen und
Rhythmen musikalischer Wohllaut klingt;
der grübelnde, aber doch warmherzige,
zumeist wehmüthige Einar Hjörleifsson
und der ernste, radical- fortschrittliche
Tendenzdichter Thorsteinn Erlingsson.
Es ist in dem engen Raume dieser
Zeitschrift nicht möglich, die Eigenart
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