Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 20, S. 466

Laus Veneris I. (Swinburne, Algernon Charles)

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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 20, S. 466

Text

SWINBURNE: LAUS VENERIS.

Ja, Herr, Du bist sehr gross und stark, fürwahr —
Doch sieh, ihr wundervoll gewobnes Haar!
Und brachtest unsrer armen Erde Heil —
Doch sieh, ihr kräftereiches Lippenpaar!

Ist sie nicht gänzlich ohne Fehl? Sag’ an,
Herr Jesu Christ, was hat sie Dir gethan?
Ward mir von ihr nicht Süsseres zutheil,
Als Jenen, die sich Deiner Mutter nahn?

Im Hörselberge drinnen ist es heiss.
Man findet wenig Ruhe dort, Gott weiss!
Ein schwerer Brodem macht den Athem bang
Und treibt aus allen meinen Poren Schweiss.

Mir schlägt das Herz, bis es mich übermannt —
Seht meine Venus! In geschlossner Hand
Hält sie mein Leben wie an einem Strang,
Von meiner Liebe schlafend noch entbrannt.

Zu Häupten ihr, im goldnen Dornenkranz,
Steht, nackt, der Geist der Liebe, ganz
Umwallt von einem feuerfarbnen Dunst,
Aschfahl von Angesicht und ohne Glanz.

Wie aus dem starren Schaum der lose Gischt
Sich im Gerinsel mit der Flut vermischt,
Schäumt ohne Rast aus seiner trocknen Brust
Begierde auf, die ungestillt erlischt.

Die Nacht wirft schwere Schatten. Strahl um Strahl
Verglimmt in Dunkelheit, und meine Qual
Schwillt heftiger, in jedem Puls entfacht
Von schlummerlosen Nächten ohne Zahl.

O, wär mein Leib, wo ihn die Flut bespült,
Seetang ihn zudeckt und ins Mark ihn kühlt,
Wär’ Ein Mal er gebettet über Nacht
Da, wo der Wind in nassen Gräsern wühlt!

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 20, S. 466, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-02-20_n0466.html)