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der im Begriffe ist, eine alte, tiefe Wunde
zu schneiden; ich bewunderte vom Par-
terre aus die aufmerksamen und ver-
blüfften Gesichter der Zuschauer und ver-
folgte mit perverser Neugier den neuen
und tiefen Eindruck, den die lichtvollen
und tiefen Worte in jenen Pupillen hervor-
brachten, die bald wie durch Zauberwerk
geblendet, bald zweifelnd und gering-
schätzig schienen, wenn das Bild neu,
verwegen und kühn emporflog wie ein
lebhafter und vielfarbiger Schmetterling.
Die Fabel des Stückes ist einfach.
Laura, die Löwin (la leonessa) ist der
phantastische und grausame Typus einer
modernen Lady Macbeth. Nach einem
düsteren Leben der Abwege und Ver-
irrungen reicht sie Claudio Pusterla, einem
schwachen, schüchternen Manne, die Hand
zum Bunde. Ihr Bund ist aber nicht von langer
Dauer. Viele materielle Schwierigkeiten
und die Böswilligkeit der Menschen tragen
dazu bei. Das Vermögen Claudios ist dem
Untergange nahe, und so muss er sich an
seinen Onkel Demetrio Pusterla wenden,
dessen Reichthümer ihn vor der äussersten
Katastrophe retten können. Der Onkel ge-
bietet ihm, Laura zu verlassen und gibt
zugleich vor, sie jener zuführen zu wollen,
die Mutterstelle an ihr vertritt. Claudio
willigt feiger Weise ein und Laura zieht
aus dem Hause des Neffen in das des
Onkels. War sie früher Herrin über den
wankenden Willen des jungen Mannes, so
wird sie nun ihre verhängnisvolle Herr-
schaft über die Sinne des alten Pusterla
ausüben können, der erfüllt ist von Lüstern-
heit. Sie nährt einen tiefen Hass gegen
den Alten, der sich entschlossen hat, sie
zu heiraten, und erwartet eine Gelegenheit
zur Rache. In der That bietet sich diese
Gelegenheit recht bald. Vom Strahlen-
glanze sagenhaften Ruhmes gekrönt, kehrt
der Held Paolo Emo von den fernen un-
bekannten Küsten, die seine Eroberungen
sahen, in sein Heimatsdörfchen Chiarafonte
zurück. Bei der Verkündigung dieser ver-
hängnisvollen Ankunft flammt Lauras
ruhmsüchtiger Geist in unerwartetem Lichte
auf; das, was sie früher in sich vermuthete,
die heisse Begierde, an irgend einem Hofe
einen erhabenen Gipfel zu erklimmen,
nimmt nun concrete Formen an und kann
sich binnen kurzem erfüllen. Sie empfindet
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von weitem den sonderbaren Zauber des
heldenhaften Mannes und fühlt sich mit
all ihren veränderlichen Kräften zu jenem
plötzlichen Lichte hingezogen, das in-
mitten dichter Finsternis von jenseits der
Meere ihr entgegenkommt. Aber da kehrt
Claudio in der Hoffnung zurück, die alte
Liebe seines Weibes wiederzugewinnen,
die er sich durch Schwäche und Feigheit
verscherzt hatte. Laura findet in ihm das
günstigste Werkzeug ihrer Rache und
legt ihm die Waffe in die Hand, die den
alten Pusterla tödten soll. Unter Hosiannah
und Jubelgeschrei des Volkes zieht der
heldenhafte Krieger Paolo Emo durch
Siegespforten in sein Heimatland ein. Laura
zittert beim Anblicke des Helden wie eine
demüthige Sclavin; die heroische Natur
Paolos zieht die ihre, die im Grunde
heroisch ist, wie magnetisch an. Doch
Claudio hat indessen die von der »Löwin«
inspirierte Missethat begangen; eine lange
Schar von Gespenstern zieht durch das
Haus Pusterla — und der von Grauen
ergriffene Paolo flieht von dannen; Laura,
die zugleich mit dem Tode des Alten
die Freiheit erlangt hat, wird sie nun in
den Armen des Todes suchen müssen.
Dies ist, kurz angedeutet, der Inhalt
des Dramas, das den ersten Schritt auf
dem unsicheren Wege zur Wiedergeburt
des italienischen Theaters bedeutet;
seit den erhabenen Traditionen des griechi-
schen und Shakespeare’schen Theaters
wurde das Heroische noch nie mit
grösserer Kunstwürde, mit schönerer Leb-
haftigkeit und Modernität des Stiles auf die
Bühne gebracht! Obzwar dieses Drama
direct von der Shakespeare’schen
Tragödie abstammt, bewahrt es in
seinen fünf langen Acten doch herrlich
das lateinische Gepräge: Ein seltener
Reichthum an lichtvollen Bildern und
schönen Verkürzungen, an tiefen oder
scharfen Sentenzen liegt im Dialog
verstreut, der immer ernst und der
Würde der Personen angemessen ist;
wir finden eine wunderbare Ausgeglichen-
heit der Details und des Gesammtbildes,
eine gesättigte Harmonie der Linien
und Perioden, ein ruhiges, stetes Licht
leichtbeschwingter Poesie, das die flüch-
tigsten Erscheinungen der Leidenschaften
und Gemüther bestrahlt. In wenigen
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