Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 21, S. 508

Zur Psychologie des Hellsehens (Deinhard, Ludwig)

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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 21, S. 508

Text

DEINHARD: ZUR PSYCHOLOGIE DES HELLSEHENS.

hindurchsehen; denn für seine nun er-
worbene Sehkraft besitzt diese Mauer keine
grössere Dichtigkeit, als etwa ein leichter
Nebel. Er sieht darum auch das, was in
einem Nebenzimmer vorgeht, beinahe
ebensogut, wie wenn keine dazwischen-
liegende Wand vorhanden wäre; er kann
genau den Inhalt einer geschlossenen
Schachtel, eines zusammengefalteten Briefes
angeben und mit einiger Übung es dahin
bringen, in einem zugemachten Buch eine
bestimmte Stelle ausfindig zu machen.
Dieses Kunststück, das dem mit dem
astralen Sehvermögen Begabten sehr leicht
gelingt, bietet jedoch Dem, der nur über
das ätherische Sehvermögen verfügt, des-
halb beträchtliche Schwierigkeiten, weil
dieser durch alle über der zu lesenden
Buchseite befindlichen Seiten hindurch-
sehen muss.«

Nach Feststellung der Thatsache, dass
die ätherische Sehkraft natürlich auch die
Wahrnehmungsfähigkeit für Farben er-
weitert, sowie deren Besitzer in den Stand
setzt, den ätherischen Doppelgänger (Äther-
körper) des Menschen wahrzunehmen, be-
merkt der Verfasser, dass mit solcher
Erweiterung oder Verfeinerung der Seh-
kraft, wie sie die Erlangung des ätherischen
Sehvermögens mit sich bringt, in den
meisten Fällen auch bei den anderen
Sinnen eine entsprechende Veränderung
zusammenhänge, dass namentlich auch
das Gehör und vielleicht auch das Gefühl
feiner werden. Tritt nun auch noch das
astrale Sehvermögen hinzu, so verändert
sich das Weltbild für den Betreffenden
abermals. Inwiefern dies der Fall ist,
sucht Leadbeater durch folgende Beispiele
klarzumachen:

»Wenn ein solcher Seher mit seiner
ätherischen Sehkraft z. B. einen hölzernen
Würfel betrachtet, der auf allen Seiten
beschrieben ist, so wäre dies für ihn
geradeso, wie wenn der Würfel aus Glas
wäre, so dass er durch ihn hindurchblicken
könnte; er würde also die Schrift auf der
Rückseite verkehrt sehen, während die
auf den beiden Seiten rechts und links

befindliche Schrift für ihn erst dann
lesbar würde, wenn er den Würfel von
rechts und links aus betrachtet. Blickt er
aber den Würfel nun mit seiner astralen
Sehkraft an, so wird er jetzt alle sechs
Seiten auf einmal sehen, gerade wie wenn
der ganze Würfel flach ausgestreckt vor
ihm läge; er würde ferner gleichzeitig
auch alle einzelnen Theilchen im Innern
des Würfels gewahren, nicht etwa das
eine Theilchen durch das andere hindurch,
sondern gleichsam alle nebeneinander flach
ausgebreitet, kurz, er wird den Würfel
dann in einer Richtung betrachten, die zu
den uns bekannten drei Raum-Dimensionen
eine vierte hinzufügt, die auf den drei
ersteren senkrecht steht.«

Im Anschlusse hieran erörtert Lead-
beater die viel umstrittene Frage der vierten
Dimension, und wenn er, zum Studium
derselben auffordernd, die einschlägige
englische Literatur namhaft macht, so
möchte ich meinerseits in dieser Hinsicht
an die trefflichen Ausführungen Prof.
Zöllners im II. Band (2. Theil) seiner
»Wissenschaftlichen Abhandlungen« er-
innern, worin Zöllner auf pag. 892 u. ff.,
über die Metaphysik des Raumes schreibend,
dieses dunkle und scheinbar unlösbare
Problem aufhellt, auf das wir hier natür-
lich nur hinweisen können.* Über die
weiteren Vortheile des Astral-Sehens lässt
sich Leadbeater folgendermassen aus:

»Durch diese Sehkraft ist jeder Punkt
im Innern eines festen Körpers dem Blick
des Sehers vollständig zugänglich, gerade
wie jeder einzelne Punkt im Innern eines
Kreises für den Blick eines darauf hin-
schauenden Menschen. Dies ist aber noch
lange nicht alles, was diese Kraft für
ihren Besitzer bedeutet. Er sieht nicht
nur das Innere eines jeden Gegenstandes
ebensogut wie das Äussere, sondern auch
dessen astrales Gegenstück. Jedes Atom,
jedes Molekül physischer Materie besitzt
sein entsprechendes astrales Atom, resp.
Molekül, und die aus diesen sich zusammen-
setzende Masse ist für unseren Hell-
seher deutlich erkennbar. Meistens ragt

* Man vergl. auch Zöllners »Wissenschaftliche Abhandlungen«, Bd. I, pag. 256 u. ff.,
wo die bekannte Höhle Platos aus dessen Werken wörtlich angeführt und andere Literatur-
nachweise herangezogen sind.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 21, S. 508, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-02-21_n0508.html)