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Das hätte der Vorhang für Herrn
Hirschfeld gedichtet, wenn Herr Hirsch-
feld geschwiegen hätte. So aber hiess er
die Leinwand schweigen und nahm ihr
Stummes Metier auf sich. Wo die Lein-
wand discret und ironisch wie das Schick-
sal gewesen wäre, wird Herr Hirschfeld
geschwätzig und feierlich, wie ein Back-
fisch. Die Folge sind drei weitere Acte,
die, sechsfach parcelliert, in umständlichster
Deutlichkeit über Kindergeburten, Ehe-
händel, Ohrfeigen und Falliments hinweg
zu Bruststössen, Thränenbächen, Schei-
dungsversuchen etc. führen und das Selbst-
verständlichste bis ins I-tüpfelhafte aus-
malen, um endlich — tant de bruit pour
une omelette! — in die banalste Sentimen-
talität mit berlinischem Alpenglühen und
Pianofortegeläute auszulaufen. Es führt ein
Weg von Ibsen über Iffland und Raupach
zur Birch-Pfeiffer.
Wie heisst es doch bei Voltaire? Le
secret d’être ennuyeux cest tout dire. Mit
Langweile ward denn auch nicht gekargt.
Und wäre nicht die durchaus vornehme
und reife Darstellung gewesen, man hätte
das geschäftige Nichtsthun und redselige
Unterliegen der Jungfrau, Nichte, Gattin
und Mutter platterdings nicht ertragen
können.
Und nun kommen die Fragezeichen.
Post tot discrimina rerum, will heissen:
nach einem ziellosen Hin und Wider, das
uns die Miasmen des käsigsten Krämer-
Milieus behaglich in die Nase stäubt, ver-
wickeln wir uns, die wir zuguterletzt em-
pfindsam geworden mit den Empfindsamen,
in zwei mächtig geschwänzte Fragezeichen.
»Weshalb?« heisst das eine. Weshalb
Theilnahme für die Schicksale einer Frau,
die doch zeitlebens nur eine schwächliche
Natur ist; durch Selbstbetrug in erbärm-
liches Glück geräth; den Blütenkern ihres
reinen Wesens von Mörderhänden zer-
blättern lässt; nicht Kraft genug hat, der
eigenen Seele treu zu bleiben, die licht-
hungrige in die Sonne zu tragen; viel-
mehr tagsüber zwischen Kochtopf und
Badewanne verrunzelt oder nächtens in
die Kissen beisst, um nicht aufzuweinen;
und schliesslich noch mit weissen Scheiteln
sich kläglich in ein Glück stiehlt, das
wieder nur auf Selbstbetrug und Phrase
gegründet ist?
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»Wozu?« heisst das andere Frage-
zeichen. Wozu dieser jahrzehntelange
Kampf, wozu diese leidvoll-lächelnde Resig-
nation, wenn sie am Ende nur in eine
Hoffnung »Sohn« mündet, der zwar Beet-
hoven anschlagen, Brahms anbeten, Mas-
cagni verachten und an linden Lüften sich
entfachen kann, sicherlich aber auch nur
so ein Halb- oder Viertelkönner ist, wie
der Claviersohn in den »Müttern«? Und
das ist das Verhängnisvolle. Denn niemals
waren Eventualmenschen tragisch, die
als Devise ihres Seins oder Nichtseins ein
schmalbrüstiges: Könnte, Möchte, Dürfte,
Sollte, Könnte nicht, Möchte nicht, Dürfte
nicht, Sollte nicht etc. unbewusst im Herzen
tragen, stets nur bedingungsweise leben,
stets auf Spiralen zögern und stets das
Glück beim Zipfel erwischt hätten, wenn
ihnen nicht allemal just beim Erwischen-
wollen eine hindernde Ratte ins Antlitz
gesprungen wäre.
Man sieht, der Halbheiten ist kein Ende.
Feige Gedanken, bängliches Schwanken,
weibisches Zagen, ängstliches Klagen —
das ist das Seelenfüllichs Hirschfeld’scher
Helden. Dazu eine Neurasthenie der
Mache, in der sich Hysterie wie Stimmung,
Hyperämie wie Leidenschaft geberdet.
Nichts steht an seinem Platze, weil Alles
an einem anderen stehen könnte. Es ist
— um Goethes Terminus für solch eine
Compositions-Technik anzuwenden— »als
wenn man einen Eimer Wassers aus-
giesst«.
Das Drama duldet eben kein Neben-
einander, am allerwenigsten ein Neben-
einander, das nur auf Umwegen durch
Einsprengung todter Zeit-Intervallen in ein
Nacheinander gewandelt wurde. Dramatiker
dürfen nicht die Ereignisse, wie sie
sich in einzelnen Entwicklungsstadien
darbieten, bildhaft abgeschildert, in gleicher
Linie an die Mauer schlagen, sonst macht
das Ganze trotz der sorgsamsten Mise-en-
scène den Eindruck, als ob es von einem
Recitator, der bauchrednerisch allen
Stimmen gebietet, vom Podium herab
gelesen würde, unter Assistenz eines
Skioptikons, das uns — wie es hier der
Fall ist — die junge, die alternde, die ge-
alterte Agnes chronologisch an die Wand
projiciert: so schattenhaft bewegen sich
hier und flüstern die Figuren des Dichters,
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