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die äußerlichen Verführungen der Presse
tragen stark dazu bei. Sie bietet, wie wir
bereits gesagt, das feste Gehalt, die
Reclame, die collegialen Beziehungen »der
siebenten Großmacht«, wie sie sich an-
maßender Weise nennt. Der in Paris
lebende Schriftsteller sucht um jeden Preis
eine Zeitung, die seine Erzählungen und
Artikel druckt, und belagert die Thüren
der Redactionen.
Wenn es ihm nun dort einzudringen
gelingt, so muss er, wenn er Artikel
schreibt, die Parole der Zeitung annehmen
und darf die bei den Actionären wohlan-
gesehenen Leute nicht anrühren; nach
kurzer Zeit langweilt ihn diese Mäßigung,
und er schmiert seine Artikel herunter.
Auf jeden Fall verlernt er den Stil und
den persönlichen Stempel, zwingt sich,
alle acht Tage über irgendeinen Gegen-
stand zu schreiben und wird banal. Schreibt
er Geschichten, so zerbricht er sich, in-
dem er monatlich vier Geschichten er-
findet, die Phantasie, verliert in der be-
engten Technik der Novellette die großen
Linien des Buches und erzählt schließlich
gekünstelte kleine Histörchen.
Die Zeitungsverleger glauben eine
famose Speculation gemacht zu haben,
wenn sie die ganze französische Lite-
ratur in ihrer Zeitung haben und zu
einem Sou verkaufen. In Wirklichkeit
haben sie Namen anstatt Werke. Ihre
Autoren, auf die sie sich stürzen, sobald
sie einiges Aufsehen erregen, geben ihnen
Bruchstücke, wie wenn sie Schularbeiten
machten, und wiederholen sich bis ins
Unendliche. Alle ihre Geschichten ähneln
einander, und warum sollten sie sich auch
Mühe geben? Man hat sie um ihres
Namens und nicht um ihres Talentes
willen gekauft. Wenn sie an ihrem guten
Tage einmal Lust haben, etwas Ausge-
feiltes und Kräftiges zu schreiben, so be-
halten sie es für einen künftigen Band.
Dieser gegenseitige Betrug bewirkt es,
dass wir in den Zeitungen mit den Namen
von Akademikern unterzeichnete Artikel
und Novellen sehen, die ein Anfänger
nicht anzubieten wagen würde. Und diese
mit einem berühmten Namen gezeichneten
Armseligkeiten werden das Stück mit
300 bis 500 Francs bezahlt.
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In England, wo ein dieses Namens
würdiger Schriftsteller in den Revuen
königlich bezahlt wird und nie für eine
Zeitung — außer mit außergewöhnlichen
Ehren — schreibt, würde so etwas ver-
blüffen, und man wäre über dieses scham-
lose Treiben berühmter Schriftsteller ebenso
empört, wie über ihre Ungeniertheit.
Man sieht wohl kaum, dass Swinburne,
Merelith, Henley oder George Moore ihre
schönen Prosawerke oder ihre stolzen Ge-
dichte zwischen einer Spalte Demimonde-
Notizen oder einer Spalte Annoncen
veröffentlichen, doch in Frankreich ver-
letzt das weder die Zeitungsverleger, noch
das Publicum, noch die Schriftsteller.
Aber diese Unzuträglichkeiten und diese
Taktlosigkeiten sind noch nichts; der Jour-
nalismus erniedrigt die Phantasie, ruiniert
den Stil, lenkt von dauerndem und ernst-
haftem Streben ab und trifft häufig auch
die moralische Persönlichkeit. Er ver-
pflichtet zu peinlichen Händedrücken, zum
Verkehr mit einer Menge von seltsamen
und verdächtigen Personen, zum Cafeleben,
zum Boulevardbummel. Eine tiefe Demo-
ralisation entsteht aus diesem Journalis-
mus, die den »Geist der Mode« dem »Geist
der Dauerhaftigkeit« entgegenstellt, der
der Untergrund eines jeden Künstlers sein
muss. Gewiss ist der Novellist der Zeitun-
gen kein eigentlicher Journalist und kann
sich zurückhalten; doch er muss sich
trotzdem von Zeit zu Zeit im Hause
zeigen, wenn er nicht fürchten will, ersetzt
zu werden. Er mag ursprünglich einen
noch so gesunden Sinn und solide Prin-
cipien haben, er verschlechtert sich lang-
sam in den täglichen Versuchungen von
Paris, aus denen man sich — und das
ist die schlimmste Gefahr — stets zur
Zeit zurückziehen zu können glaubt.
Was der Journalismus auf diese Weise
an schönen Talenten zugrundegerichtet hat,
ist zahllos. Man hat vergeblich das Para-
doxon aufzustellen versucht, dass die Noth-
wendigkeit der periodischen Production
ein geistige Gymnastik ist. Soviele Vor-
theile die tägliche Arbeit bietet, so bekla-
genswert ist diese Akrobatik der perio-
dischen Erfindung, der erzwungenen Origi-
nalität, diese Verführung, schlecht zu
schreiben und oberflächlich zu denken.
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