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centrierte sich seine stetige Aufmerksam-
keit auf mich.
In einer sehr wunderlichen Pose saß
er da, das Haupt zurückgelehnt, das Ant-
litz ein wenig emporgereckt. Mit seinem
solchermaßen ruhenden Kopf, ganz in der
Betrachtung seines Besuchers aufgehend,
schien er in einem Zustand absoluter
Passivität auf Bemerkungen und Einfälle
zu warten, die glasigen Augen halb ge-
schlossen, die großen, knotigen Hände vor
sich ausgebreitet. So konnte er eine Viertel-
stunde unbeweglich bleiben, selbst in der
Action des Sprechens keine Bewegung
verrathend, die Lippen in einem Wald
von Bart verborgen. Wenn es wahr ist,
dass alle hervorragenden menschlichen
Wesen Thieren ähneln, dann war Whitman
wie eine Katze, wie eine große, graue
Angora-Katze, ruhig und heiter schimmernd
in ihren seidigen Haarwellen, mit un-
ergründlich träumerischen Augen. — —
Sein Gespräch war elementar wie seine
Werke. Es hatte nichts von den gewöhn-
lichen Zierraten und Reizmitteln der
Conversation. Es quoll natürlich hervor
oder es versiegte — ganz ohne epigram-
matische oder rhetorische Nuancen — es
war die schlichte Äußerung ungekünstelter
Urbanität. So — denke ich — spricht ein
orientalischer Weiser, in einem leisen,
gleichmäßigen Ton, ohne Aufregung oder
Hast, ohne Emphase, in einem Land, wo
Zeit und Unrast unbekannt sind. Whitman
saß da mit seinem großen, zurückgelehnten
Kopf, heiter lächelnd, und sprach über sich
selbst. Er berührte seine Armut, die recht
augenscheinlich war, und seine Paralyse
— diese waren die zwei Bürden, unter
die er sich duckte, gleich Issaschar. Er
schien mit beiden ganz befreundet und
beachtete sie kaum. Ich glaube, ich bat,
meine Kiste fortrücken zu dürfen, denn der
volle Lichtstrom begann bei den gardinen-
losen Fenstern hereinzufluten — und da
sagte Whitman, jemand habe versprochen,
ihm Gardinen zu schenken, aber er sei
nicht begierig darnach, sie würden ihm
etwas von dem Lichte nehmen. Licht
und Luft war alles, was er brauchte;
und den Winter lang saß er da, geduldig
wartend auf das Licht des Sommers, da er
wieder hinaushumpeln würde, seinen Körper
zu baden in einem seichten Flüsschen, das
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er kannte, »dort hinten in Comden«. In-
zwischen wartete er, wartete mit unend-
licher Geduld, an den Sand denkend und an
den dünnen heißen Wasserstrahl in jener
schönen New-Jersey-Bucht. Und so saß er
traumverloren, während vor mir das Bild
des indischen Dichters Valmiki auftauchte,
der, in wohllüstiger Verzückung unter
seinem Feigenbaum sitzend, langsam von
Ameisen aufgezehrt wurde.
Whitmans Zimmer ließ, kahl wie es
war, nur zwei Dinge sehen, die so etwas
wie Kunst veranschaulichten. Das eine war
ein Stich, einen Roth-Inder darstellend;
das andere — entschieden das Einzige,
was die Kahlheit des Hinterzimmers, in
welchem Whitmans gebundene Werke
aufgestapelt waren, milderte, war die
Photographie eines sehr schönen, jungen
Mannes. Ich befragte ihn über dieses
Porträt, und er sagte darauf allerlei Be-
merkenswertes. Zunächst erklärte er, dies
sei sein bester Freund, ein berufsmäßiger
Ruderer von Canada, ein wohlbekannter
»sporting character«. Er fügte hinzu,
diese Art Leute seien es, die seinem
Herzen am nächsten stünden. Athleten,
die ein Freiluftleben führen, und deren
Geschäft es sei, sich frisch, rein und roth-
backig zu erhalten. Seine Seele fliege
solchen Menschen zu, und sie fühlten sich
auch seltsam zu ihm hingezogen, so dass
zur Zeit der niedersten Ebbe seines Glückes,
da die Welt ihn am ärgsten schmähte
und verhöhnte, reiche Männer dieser Art
ihn ausgeforscht und sich freundlich ihm
gegenüber erwiesen hätten. »Und nun«
— fuhr er fort — »warte ich nur auf den
Frühling, um mit meinem Stock hinaus-
zuhumpeln in die Wälder, und wenn ich
den ganzen Tag lang dicht bei einer Gruppe
arbeitender Holzhacker sitzen kann, bin ich
vollkommen glücklich, denn etwas von
ihrem Leben mischt sich mit dem Dufte
des gefällten Holzes, und es dringt in
meine Adern, und ich spüre nicht länger
Krankheit und Alter«. Ich glaube, dies
waren seine genauen Worte, und sie
machten tieferen Eindruck auf mich, mehr
als alles andere, das er sonst gesagt an
diesem langen und angenehmen Tage.
Man konnte annehmen — und ich glaube,
dass selbst seine Bewunderer dies gesagt
haben — Whitman habe keinen Humor.
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