Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 5, S. 107

Landschaft Die Philosophie des Giordano Bruno II. (Wenban, Sion L.Kuhlenbeck, Ludwig, Dr.)

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Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 5, S. 107

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KÜHLENBECK: DIE PHILOSOPHIE DES GIORDANO BRUNO.

Stimmung oder Bewegung; denn erst durch
die Differenz sind sie zwei; sonst wären
sie eines, jedes Seiende ist ein untheil-
bares Eines.« Bekanntlich war die gleiche
Behauptung des Hofphilosophen Leibnitz
für die kurfürstlich hannoversche Prin-
zessin Sophie eine Zeitlang die Ver-
anlassung zu einem geistreichen Spiel.
Sie suchte im Schlossgarten zu Herren-
hausen nach Blättern, die anscheinend
völlig gleich an Größe, Farbe und Ge-
stalt waren. Leibnitz aber wies ihr jedes-
mal einen Unterschied nach.

Niemand hat wohl jenen Materialismus,
der die Atome des Staubes für unsterblich,
die Seele aber für einen bloßen Schein
des Staubes erachtet, schärfer von sich
gewiesen, als der Nolaner; und ich glaube,
dass ihn hierin auch die vivisectorischen
Ergebnisse der modernen Hirn-Physio-
logie nicht irregemacht haben würden.
»Es ist nicht wahrscheinlich, ja nicht
möglich« — sagt er im spaccio della bestia
trionfante
— »wenn die sinnlich wahrnehm-
bare Materie, die zusammengesetzt, theil-
bar, fassbar, dehnbar, bildsam, beweglich
und widerstandsfähig ist, unter der Herr-
schaft, Leitung und Kraft der Seele, wenn
diese Materie unzerstörbar, in ihren letzten
Atomen, sage ich, unvernichtbar ist, — dass
da im Gegentheil die weit erhabenere
Natur, die jene beherrscht, bewegt, ernährt,
mit Gefühl erfüllt und zusammenhält, von
geringerer Dauer, und wie etliche Thoren,
die sich den Namen von Philosophen bei-
legen, es wollen, nur eine Thätigkeit sei,
die aus der Harmonie, dem Ebenmaß und
der Zusammensetzung resultiere und am
Ende nur eine zufällige Eigenschaft sei,
welche bei Auflösung des Zusammen-
gesetzten mit der Zusammensetzung selber
in nichts vergehe. — Dieses Princip ist
vielmehr der Heros, das Dämonische, der
Halbgott, die Intelligenz, in welcher, von
welcher und durch welche die verschieden-
artigsten Organismen und Körper gebildet
werden; eben dieses aber kann und muss
auch in ein verschiedenartiges Dasein,
in verschiedene Gestalten, verschiedene
Namen und Schicksale eingehen.« Und
mit jener dichterischen Begeisterung, die
ihm auch seinen schweren Todesgang, laut
dem Berichte des Augenzeugen Schoppe,
erleichtert hat, bricht er in seinem

Lehrgedicht de triplici minimo in die
Worte aus:

Geh’ nun, Thor, und fürchte des Todes Dräu’n
und des Geschickes;
Geh’ zum Geschwätze der Thoren dahin, die
Träume des Pöbels
Lass’ mit tödtlicher Furcht dich erfassen, als
ob du in Wahrheit
Wärst ein Zusammengefügtes, aus stofflichen
Theilen bestehend!
Wird nicht selbst im Strome der Zeit die Masse
verändert,
Wie sie aus eig’ner Bewegung in nie versie-
gendem Wechsel
Neue Theile beständig ergreift und die früheren
ablegt?
Oder des eigenen Leibes Stoff ist auch jetzt er
derselbe,
Theilweis’ oder im ganzen, wie kürzlich er
dir noch zuvor war?
Blieben des Knaben Blut und Fleisch und
Knochen dem Jüngling
Unverwandelt? Veränderte nicht im Wechsel
dem Mann sich
Alles? Fließen die Glieder nicht, und entäußern
erneuert
Sich der verbrauchten Form — gleichwie die
Nägel und Haare
Nur andeuten dem Sinne — dieweil ohne
Wandel des Centrums
Wesen inmitten des Herzens beharrt,
die lenkende Vollkraft,
Durch die Einer du bist, derselbige
bleibst und Ich bist?
Dies, dies bist du selbst, was mächtig die
Mitte gefasst hält,
— Das zu trennen keiner Naturkraft irgend
vergönnt ist,
Das der Blitz nicht rührt, die verzehrende
Zunge der Flamme
Nimmer verletzt, das Atom, gleichwie des
Leibes Atome
Unzerstörbar, so dass nur die Ordnung allein
und die Stelle
Und der Theile Gebrauch stets wechselt, doch
unverändert
Ruhig im Wechsel beharrt der Ding
untheilbares Wesen.

Diese transcendental-individualistische
Entwicklungslehre ist auch das Fundament
der Bruno’schen Ethik. Das Individuum,
d. h. sein übersinnlicher Wesenskern, die
Monade, ist selbst verantwortlich für ihr
Dasein und Thun und Leiden (Karma).
Wie Fichte, sagt auch Bruno: Ich bin
durchaus mein eigenes Geschöpf. Jedes
Individuum ist sein eigenes Entwicklungs-

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 5, S. 107, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-04-05_n0107.html)