Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 5, S. 108

Landschaft Die Philosophie des Giordano Bruno II. (Wenban, Sion L.Kuhlenbeck, Ludwig, Dr.)

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Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 5, S. 108

Text

KUHLENBECK: DIE PHILOSOPHIE DES GIORDANO BRUNO.

Product; es wird nicht für, sondern
durch seine eigenen Handlungen bestraft
oder belohnt.

Diese innerliche Gerechtigkeit be-
darf eines äußerlichen Himmels und einer
äußerlichen Hölle nicht, wenngleich auch
die jeweiligen Daseinsumstände dem vor-
zeitlichen Verdienste jedes einzelnen ent-
sprechen (kraft eines tieferen und ge-
rechteren Erbrechtes, als desjenigen, das
die Missethaten der Väter an ihren Kin-
dern heimsucht).

Ewige Höllenstrafe, ewige Verdamm-
nis mag ein gutes Drohmittel für den
boshaften Pöbel sein; mit der Güte Gottes
und der stetigen Wandelbarkeit aller Zu-
stände sind sie unvereinbar. Wohl aber gibt
es ein ewiges Gewissen, ein unzertrenn-
bares Band, das jede einzelne Monade
mit der Central-Monade, mit ihrem gött-
lichen Ursprung und Endziel verknüpft
und sie mit schmerzhafter Spannung daran
erinnert, wenn sie sich davon zu ent-
fernen strebt. Diese schmerzhafte Spannung
ist das Naturgefühl der Reue, die für
Bruno nicht wie für Spinoza eine Schwäche,
eine Einbildung, sondern eine Tugend ist,
der Dorn, aus dem die Rose der Gottesliebe,
der göttliche Funke, der aus dem harten
Kieselstein des Egoismus entspringt.

Die Vervollkommnungsfähigkeit des
Individuums ist unendlich. Sein Ziel ist,
zu werden wie Gott. Licht auf den Weg
zur Gottheitjjglaubt Bruno zu spenden in
seinem »hohen Liede« der Ethik, der
Furori Eroici, einer Heilslehre für freie
Geister. Hier ist es die Schönheit, welche
erkannt wird als anschauliche Einheit von
Form und Stoff. Als Eklektiker des
Plotin sagt Bruno: »Der Geist, der das
Schöne erblickt und empfunden hat,
schreitet unaufhörlich fort vom erschauten
Schönen, das eben deshalb nur ein end-
liches, durch Theilnahme am Ganzen
Schönes ist, zum wahrhaft Schönen, das
keine Schranke noch Grenze kennt.«
»Wohlan,« sagt er am Schluss des ersten
Capitels de immenso, »richten wir unsere
Augen stets auf das vielförmige Abbild
der all-einen Gottheit, die uns, die wir
im Schiff der Seele dahinsegeln, als
Leuchtthurm strahlt, die Vernunft führe
das Steuer, im Spiegel der Wissenschaft

fange sie ihr Licht auf, bewahre im Ge-
dächtnis das Vergangene, erforsche das
Gegenwärtige und schaue voraus das Zu-
künftige. Mit Recht nennt Trismegist den
Menschen ein Wunder, da er in die Gott-
heit eingeht, um selber Gott zu werden,
weil er alles werden soll, wie Gott alles
ist, weil er zu einem Endziel ohne Ende,
das sich dennoch allüberall bestimmt und
gestaltet, vorwärtsschreitet, wie die Gott-
heit unendlich, unermesslich und doch ganz
überall ist.«

Wir sind hiermit an das Ende unserer
Mittheilungen gelangt, an die Gottes-Idee
des Giordano Bruno. In einer kleinen Ab-
handlung über die Bildkraft Goethes hat
Brunnhofer zuerst den Nachweis geliefert,
dass das bekannte Gottesbekenntnis
Goethes:

Was wär’ ein Gott, der nur von außen stieße,
Im Kreis das All am Finger laufen ließe!
Ihm ziemt’s, die Welt im Innern zu bewegen,
Natur in sich, sich in Natur zu hegen,
So dass, was in ihm lebt und webt und ist,
Nie seine Kraft, nie seinen Geist vergisst.

nichts anderes ist, als die fast ganz
wörtliche
Übersetzung einer prosaischen
Anmerkung Brunos zu seinem kosmo-
logischen Lehrgedicht de immenso, V., 12.

»Wer in die Tiefe zu blicken vermag«,
sagt der Nolaner, »erkennt als die Grundlage
aller Natur Gott. Gott schwebt als Geist
über allem. Als allem immanenter Geist ist er
die Natur. Als alles durchdringender Geist
die Vernunft. Gott ist als Monade der
Monaden die Quelle aller Zahlen, das
Einfache aller Größe und die Substanz
und Quintessenz aller Verbindung, der
über allem schwebende, nicht in Zahl und
Maß zu fassende Begriff. Die Natur hin-
gegen ist eine zählbare Zahl, eine mess-
bare Größe, ein denkender Begriff. —
Die Vielheit der Monaden hat ihre Quelle
in Gott, aus welcher sie wie Funken aus-
sprühen oder wie das Licht und die Farben
ausstrahlen«. Und die Gott-Innigkeit seines
eigenen Wesens fasst er zusammen in
einem seiner bekanntesten Gedichte:

Ursach’ und Grund und du, der Ewig-Eine,
Dem Leben, Sein, Bewegung rings entfließt,
Der sich in Höh’ und Breit’ und Tief ergießt,
Dass Himmel, Erd’ und Unterwelt erscheine.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 5, S. 108, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-04-05_n0108.html)