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Wortes Mouchoir auf dem Théâtre Français
bedeutete den äußeren Wendepunkt in
der romantisch-realistischen Bewegung,
deren Vater Victor Hugo und deren En-
fant terrible Zola gewesen, geradeso wie
der Classicismus vom Anfang dieses Jahr-
hunderts zuerst durch Talmas Weigerung,
die griechischen Helden mit einer Puder-
perücke zu spielen, auf der Bühne ein-
geleitet wurde — beiläufig eines der
vielen Beispiele des Strebens nach archäo-
logischer Genauigkeit, welches alle be-
deutenden Schauspieler des Jahrhunderts
ausgezeichnet hat.
Durch die Wiedergeburt der classischen
Studien im humanistischen Zeitalter wurde
auch die freudige Aufnahmefähigkeit für
Costümschönheit und decorative Ornamen-
tation wieder geweckt, woraus die Be-
schäftigung mit der Archäologie ihre
Nahrung fand. Die Archäologie war damals
eben keineswegs eine trockene Gelehrsam-
keit, sondern ein Mittel, um aus der Ver-
gangenheit den lebendigen Athem der
Schönheit neu in die Seele zu hauchen.
Von Mantegnas »Triumph des Cäsar«
und Nicolo Pisanos geschnitzter Kanzel
bis zu Benvenuto Cellinis Besteck für
König Franz von Frankreich kann man
den Hauch dieses vergangenen Schönheits-
cultus spüren.
Er war nicht beschränkt auf die un-
beweglichen Künste — die Künste der
»angehaltenen Bewegung« —, sondern
fand seinen Ausdruck auch vielfach in
volksthümlicher Weise bei den großen
Umzügen und Festen, welche die fort-
währende Unterhaltung der Höfe jener
Tage waren, sowie durch die öffentlichen
Schaustellungen und Processionen, womit
die wohlhabenden Bürger der größeren
Handelsstädte damals ihre fürstlichen Be-
sucher zu begrüßen pflegten, Maskenfeste,
die man, nebenbei bemerkt, für so wichtig
hielt, dass große Holzschnitte und Drucke
darüber verfertigt und herausgegeben wur-
den, ein deutlicher Beweis für das allseitig
bekundete Interesse an diesen Dingen.
Und diese Auffassung und Verwendung
der Archäologie ist weit von engherzig-
prüder Pedanterie entfernt. Ich kann es
allenfalls begreifen, wenn man sie unter
gewissen Voraussetzungen auf Grund ihres
übertriebenen Wirklichkeitssinnes verur-
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theilt, aber sie als pedantisch zu bezeichnen,
ist weit am Ziel vorbeigeschossen. Denn
da sie eine Wissenschaft, so ist sie weder
gut noch böse. Es kommt nur darauf an,
wie sie benützt wird, und nur ein Künstler
kann sie richtig benützen. Von ihr er-
warten wir das Material, vom Künstler
die Methode. So hat sie auch die Bühne
Shakespeares verschönert, nur so wirkt
sie heilsam auf den Geschmack und recht-
fertigt sich selbst.
Das sechzehnte Jahrhundert war nicht
nur das Zeitalter des Vitruv, sondern auch
des Vecellio (Tizian). Jedes Volk schien
damals plötzlich ein neugieriges Bestreben
nach der Kenntnis der Kleidung seiner
Nachbarn zu bekunden. Europa begann
seinen Kleiderschrank zu untersuchen und
auszukramen und die Anzahl der damaligen
Publicationen über Volkstrachten ist ganz
erstaunlich groß. Im ersten Jahrfünft des
neuen Säculums erreichte die »Nüren-
bergher Chronik« mit ihren zweitausend
Illustrationen fünf Auflagen; und bevor
das Jahrhundert um war, waren siebzehn
Auflagen von Münsters »Kosmographie«
erschienen, denen sich noch die Bücher
Hans Weigels, Michael Colyns, Ammans
und Vecellios gesellten, welch letzterer
zum Theil seine eigenen Handzeichnungen
mit zur Illustration benützt hat. Die Liebe
zur Kenntnis der Trachten beschränkte
sich nicht auf das classische Alterthum
oder fremde Nationen; man forschte auch
eifrig, namentlich unter den Theater-
leuten, nach den alten englischen Volks-
trachten. In einem seiner Prologe spricht
Shakespeare sein Bedauern über die Un-
möglichkeit aus, Helme aus der richtigen
Epoche herbeizuschaffen; er sprach als
der Theaterdirector, nicht bloß als
der Dichter der elisabethinischen Zeit! In
Cambridge wurde z. B. eine Aufführung
von »Richard III.« veranstaltet, bei welcher
die Darsteller in echten Zeitcostümen auf-
traten, die man aus den historischen
Sammlungen des Tower genommen hatte,
welche jederzeit den »Managers« zugäng-
lich waren und ihnen häufig leihweise
zur Verfügung gestellt wurden.
Bis zu dem unseligen Triumph der
Philister im Jahre 1645 (Cromwells Sieg
bei Naseby) waren in England alle alten
Kathedralen und Kapellen Stapelplätze
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