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einheimischer Alterthumskunde, weil in
den Kirchen die Rüstungen und Trachten
aus der Vergangenheit aufbewahrt wurden.
Der puritanische Hass gegen Schmuck,
Farbe und Anmuth in der Kleidung war
nichts anderes als der große Pöbelaufstand
der englischen Mittelclassen gegen die
Schönheit im XVII. Jahrhundert. Die
Folgen dieses Pöbelaufstandes hat England
zwei Jahrhunderte hindurch wie Sträflings-
ketten an seiner Cultur getragen.
Polonius sagt in seiner väterlichen
Abschiedsrede: Das Merkmal der guten
Kleidung ist Ausdrucksfähigkeit. —
Für die Bühne hat sie zwei Aufgaben:
die malerische und die dramatische; erstere
hängt von der Farbe, die zweite von der
Umrisszeichnung (Ausdrucksform) ab. Ver-
schiedene Formen, aus verschiedenen Zeit-
altern genommen, verwandeln die Bühne
in jenes Costüm-Chaos, welches die
Caricatur aller Jahrhunderte ist, das wir
mit dem Namen »Costümball« bezeichnen.
Damit geht jeder einheitliche malerische
und dramatische Effect verloren, weil eine
Verwirrung der Costüme eine Verwirrung
des Stückes selbst bedeutet. Da Kleidung
Entwicklung und Evolutionsform ist, so
darf auch der Dramatiker diesen Ausdruck
des Zeitalters nicht ungestraft verachten.
Shakespeares Ansicht über Mischklei-
dung kann man entnehmen aus der
häufigen Verspottung der elisabethinischen
Dandys, die sich einbildeten, gut gekleidet
zu sein, weil sie ihre Hemdkrägen aus
Italien, ihre Hüte aus Deutschland und
ihre Hosen aus Frankreich bezogen. Ebenso
streng und einheitlich fasste er die Costüm-
frage für den Geist und die sociale
Atmosphäre seiner Bühnenwerke auf.
Wie gewissenhaft und klug Shakespeare
die Archäologie benützte, geht wohl am
schlagendsten aus der historischen Kleidung
des Coriolan hervor, bei dem der alte
Plutarch zu Rathe gezogen worden ist,
der uns den Kranz von Eichenlaub be-
schreibt, mit welchem Cajus Martius
bekrönt worden sei, desgleichen den
Schnitt und Sinn des eigenartigen Mantels,
in welchem er nach antiker Sitte seinen
Wählern entgegentreten und um ihre
Stimmen werben musste. Als echter
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Künstler »übernimmt« Shakespeare vom
Historiker die Thatsachen, indem er sie in
dramatische und malerische Effecte um-
wertet. Dieses dunkle Gewand der Demuth,
dieses »wölfische Gewand«, wie er es
nennt, bildet den eigentlichen Schlüssel
zum ganzen Stück.
Archäologische Genauigkeit ist also eine
wesentliche Voraussetzung der Bühnen-
Illusion. Daher beruht Lord Lyttons Vor
schlag, »nur schöne«, nicht richtige
Costüme zu gebrauchen, auf einer ganz
irrthümlichen Auffassung vom Wesen und
Sinn der Bekleidung. Ganz neue Costüme
zu entwerfen, die allgemeine Giltigkeit
beanspruchen könnten, ist — außer für
heiteren Mummenschanz — fast undenk-
bar, weil Kleidung nicht »entdeckt«, son-
dern entwickelt wird.
Der Archäologe der Zukunft wird
wahrscheinlich unser Zeitalter als dasjenige
bezeichnen, in welchem die Bedeutung
und decorative Schönheit des Schwarz
erkannt worden ist. Was aber die Bühne
anbelangt, so finde ich nicht, dass sie
dort hinreichend verstanden wird, nämlich
als Stimmungsmotiv, wie etwa Weiß oder
Gold. In modernen Stücken wird wenig
darauf geachtet, dass dem schwarzen
Kammgarn- oder Tuch-Gehrock des Helden
als Farbenmotiv an sich Bedeutung inne-
wohnt, zu dem ein passender Hintergrund
gegeben werden sollte. Das geschieht sehr
selten. In der weitaus größten Mehrheit
aller modernen Inscenierungen verschwindet
der Held in einem Urwald von Palmen-
blättern oder verwirrenden Durcheinander
von Nippsachen; oder er ertrinkt in den
schwellenden Polstern von Louis Quatorze-
Möbeln mit ihren weiten, ausladenden
Formen und gähnenden Abgründen von
Gold und Rosa; oder er schrumpft zur
Mücke zusammen inmitten von Riesen-
schränken mit unruhigen Intarsia-Flecken.
Der Hintergrund sollte dagegen ruhig
gehalten sein, in seiner Farbe dem Ganzen
einheitlich untergeordnet.
Viele unserer Schauspieler scheinen
furchtbar unbeholfen mit den Armen und
wissen ihre Hände nirgends unterzubringen,
sobald die gewohnten Seitentaschen an den
Röcken fehlen. Sie tragen ihre Kleider
wie Costüme. Costüme dürfen sie aber
nur für den sein, der sie entwirft und
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