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In selbständiger, energischer und
begeisterter Weise hat Gustav Mahler an
einer wunderbar belebten Aufführung der
»Neunten Symphonie« von Beethoven
gearbeitet. Ich stelle gleich dieses voll
instrumentierte Sprüchlein an die Spitze
der folgenden Zeilen, um mit einigen
kräftigen Worten alle missgelaunten und
feindlich gestimmten Geister zu verjagen.
Nun, nachdem die Luft rein ist, ist es
möglich, ruhig zu Freunden zu sprechen.
Nichts gleicht wohl dem demüthigenden
Verhältnisse des modernen Menschen zur
Beethoven’schen Welt. Keiner zweiten
künstlerischen Welt fühlt er sich näher,
keine Welt ragt ihm höher auf. Schwärmerei
und Demuth, Zärtlichkeit und Verehrung,
Sehnsucht und Schaudern erregen ihn,
wenn er diesen geweihten Boden betritt.
Man erinnere sich daran, wie Berlioz und
Wagner bei jeder That den Segen
Beethovens angefleht haben. Bei jeder
neuen Schöpfung musste er Pathe stehen,
allen Festtagen der Kunst war er die
höchste Weihe. Man wird die ganze
Geschichte der Kunst durchblättern können,
ohne ein Verhältnis von gleicher Feier-
lichkeit, Innigkeit und sehnsüchtiger Ver-
ehrung wieder zu finden. Nicht anders
mag der Grieche seinen Zeus Kronion
verehrt haben, als Kraftquelle der höchsten
Art, als Vater und Ahnen, Herrscher und
Segenspender, der mit dem Schütteln des
Hauptes das Weltall bewegt und heiter
den thörichten Spielen der Menschen
zusieht.
Wer dieses Verhältnis des modernen
Menschen, des modernen Künstlers zur
Beethoven’schen Welt kennt, der lächelt
kaum über die Vorwürfe, mit welchen
die Wiener Musikkritiker und andere Mit-
glieder der musikalischen Mäßigkeits-
vereine Gustav Mahler überschüttet haben.
Mit Ostentation hat der Künstler als
Dirigent der philharmonischen Concerte
die Werke Beethovens in den Mittelpunkt
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der Aufführungen gesetzt. Mit der Auf-
führung dreier Werke von Beethoven
wurden die Concerte eingeleitet und durch-
schnittlich in jedem zweiten Concerte eine
Beethoven’sche Symphonie gespielt. Ich
meine, dass die gesammte Beethoven-Ver-
ehrung aller jener, die sich heute als die
patentierten Beethoven-Schützer aufspielen,
den Fonds an Zärtlichkeit, Demuth und
Verehrung, mit welcher der moderne
Künstler an die Welt Beethoven heran-
tritt, nicht messen kann. Und ebenso
meine ich, dass alle Correctheit dieser
lauen Geister nichts wiegt gegen eine
etwaige Uncorrectheit einer begeisterten
Seele.
Es ist von vornherein als sicher an-
zunehmen — ich werde mir natürlich den
Beweis nicht ersparen — dass jede Ver-
änderung, welche der Künstler an der
Partitur Beethovens vornahm, dem Wunsche
entspricht, den künstlerischen Willen des
Tonschöpfers auch dort zum Ausdrucke
zu bringen, wo Zufälligkeiten aller Art
den treuen Ausdruck dieses Willens ver-
eitelt haben. Für mich gehören zu den
ergreifendsten Stellen in den Werken
Beethovens jene, wo sein Geist über die
Grenzen der Instrumente hinausschweift
und plötzlich, die Schranken der Realität
gewahr werdend, nach allerlei Verlegen-
heitsmitteln sucht, um den Gedanken fest-
zuhalten. Solche Stellen trifft man nicht
nur in den Instrumentalwerken, sondern
auch in den Clavierwerken an. Nament-
lich in der letzten Periode der Verzücktheit
und des Losgelöstseins von der Realität
finden sich z. B. dort Läufe in der Höhe
abbrechend und — in der tieferen Octave
sich fortsetzend. Es ist selbstverständlich,
dass bei dem größeren Tonumfange unseres
Claviers diese Tonreihen wieder in die
höhere Octave versetzt — eigentlich
zurückversetzt, restituiert werden.
Geltend ist — dies ist der Wert der
Bülow’schen Ausgabe der Clavierwerke —
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