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äußeren, zeitlichen Zusammenhänge stärker
aufdrängen. Doch das Wesen dieser wie
jener Kunst ist symbolisch, und so wollen
wir nicht erstaunen, wenn wir in der
Fähigkeit zu symbolisieren vielleicht die
eigentliche künstlerische Zeugungskraft
finden werden.
Die Fähigkeit zu symbolisieren ist
meines Wissens eine von der Wissenschaft
bisher nicht sonderlich beachtete Eigen-
thümlichkeit der menschlichen Psyche, zu
der die Fähigkeit, Begriffe zu bilden —
freilich in entgegengesetzter Richtung —
eine Art Analogie zeigt. Wie wir durch
die Beschaffenheit unseres seelischen Or-
ganismus gezwungen sind, in Begriffen zu
denken, so müssen wir fühlen: in Sym-
bolen. Wenn wir einen Begriff bilden,
so reducieren wir eine Erscheinung auf
das Nothwendige, auf ihren typischen
Charakter — rein äußerlich; bilden wir
ein Symbol, so erhöhen wir eine indivi-
duelle Erscheinung, indem wir sie inner-
lich mit unserem Leben durchdringen, bis
wir uns eines seelischen Zusammenhanges
mit ihr im Gefühl bewusst werden. Da-
durch aber, dass eine Erscheinung für das
menschliche Bewusstsein von dem all-
gemeinsamen Leben durchflossen wird,
wird sie allgemein verständlich für das
Gefühl, wie der Begriff es ist für den
Gedanken. Der Begriff arbeitet logisch,
das Symbol intuitiv. — Die Fähigkeit zu
symbolisieren ist die Fähigkeit zu beseelen,
zu beleben; das ist Zeugungskraft. Schon
aus diesen Überlegungen geht hervor, dass
das Symbol mit der erdachten Allegorie
nicht das Geringste zu thun hat.
Das Symbol war einst ein Erkennungs-
zeichen, etwa zwischen Freunden oder
Gatten, die sich trennten; auch wohl
zwischen Königen. Man zerbrach einen
Stab, und jeder nahm eines der Stücke
mit sich. Wer nun einen Boten sandte,
gab ihm als Erkennungszeichen das Bruch-
stück mit. Der Bote war beglaubigt, wenn
es lückenlos an das andere passte. Keiner
abstracten Idee, sondern einer lebendigen
menschlichen Beziehung entstammt das
Symbol. Es deutete eine Verwandtschaft,
einen Zusammenhang an; es war, ab-
gesehen von seiner ebendorthin weisenden
praktischen Bedeutung, schon in sich
symbolisch. Das war sein Wesen. So
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ist dem symbolisch empfindenden Menschen
jede Erscheinung, jeder Gegenstand wie
das abgebrochene Stück eines Stabes, mit
dem er imstande ist, vielleicht zwei Reiche
zu verbinden. Er weiß, dass es irgendwo
für all diese abgebrochenen Stücke Welt
einen Zusammenhang gibt. Jedes irdische
Sein ist ein solches Erkennungszeichen
des letzten, wirklichen Seins, steht im
Zusammenhange mit dem Unendlichen.
Und der symbolische Künstler, der Künstler
überhaupt, findet mit einem solchen Er-
kennungszeichen in dieses Reich des wahren
Seins und findet dort die Bruchstelle, an
die das Stück Welt, das ihn künstlerisch
angeregt hat, unmittelbar passt. Phantasie
muss ihn leiten. Und Phantasie leitet ihn
dahin, wo er allein finden kann, was er
sucht: in sein eigenes Ich. Nur dort finden
wir die Welt, verstehen wir die Welt,
indem wir sie mit dem Leben unserer
Tiefe lebendig machen. Dort ist für uns
die Welt; und dort fügen wir das Irdische,
nachdem es von uns Leben bekommen
hat und mit uns wesensverwandt geworden
ist (nachdem wir es zum Symbol erhöht
haben), in den Zusammenhang unserer,
der Welt ein. Sobald ein Stück Welt
auf Künstlers Gebot nun solches Leben
erhalten hat, fühlen wir Anderen diesen
Weltzusammenhang und werden uns
seiner bewusst. Das ist künstlerische Welt-
anschauung.
Die geheimnisvolle, im Künstler wal-
tende Kraft, aus der dieses Leben strömt,
und die es auch vermag, solchem tiefen
Leben im Menschen selbständig irdisches
Bild, irdische Form zu geben, diese sym-
bolische Kraft ruht nicht im bewussten
Seelenleben, sondern in dem dunklen
Lebensprocess. In ihm durchströmt uns
das Werden, das ewig gleiche unablässige
Werden, das dem Weltall Bewegung gab
und das in großen, rhythmischen Wellen
Sterne dahinrollt, wie das Blut in unseren
Adern oder den Saft in der Pflanze, und das in
unendlicher Schaffenslust in echten Werde-
zeiten die mächtigsten Menschen und die
verheerendsten Krankheiten schafft. Durch
diesen dunklen Lebensprocess hängen wir
am innigsten mit dem All zusammen, in
ihm geht das Wesen der Welt in uns ein;
und wie ein mächtiger, aus unbekannter
Ferne kommender Strom, der seltsame
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