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ihr in rosigem Lichte, der ehrliche Miss-
liebige als langweiliger Narr. Aus gleichem
Grunde sucht die Frau in der Kunst nur
ihr subjectives Behagen, nämlich Dar-
stellung des Sexualen, alle andere Kunst
lässt sie kalt.
Schon hieraus folgert, dass jedes Kunst-
urtheil von subjectiven Factoren abhängt,
dass der Mensch das Werk nur schätzt,
sofern es seinem persönlichen Geschmack,
d. h. seinem bewussten oder unbewussten
Interesse zusagt. Deshalb stößt meist die
nächste Generation das Urtheil der vor-
hergehenden um, weil eben der subjective
Standpunkt sich änderte. Im Widerwillen
der »Alten« gegen Realismus und Natu-
ralismus verbirgt sich ein ganz persönlicher
Interessen-Standpunkt, dem jede crasse
Betonung der nackten Wahrheit gefährlich
dünkt, und im Ekel der »Jungen« vor
dem classisch-romantischen Idealismus ver-
steckt sich wiederum ein persönlich re-
volutionäres Interesse, das sich durchsetzen
und nicht mit ideologischen Vertröstungen
abspeisen lassen will. Die meisten meinen bei
ihren ästhetischen Windmühlen-Gefechten
etwas ganz anderes, was sie sich selbst
verheimlichen. Hierzu kommt nun noch
das allzu Menschliche. In den allermeisten
Fällen beurtheilt der »Kritiker« das Werk
nach der Person des Autors, je nachdem
seine Ich-Beziehungen zur Person günstig
oder ungünstig sind. Über den bedeutendsten
französischen Kritiker St. Beuve haben
in dieser Hinsicht Musset und Lamartine
Übles ausgesagt, Ähnliches hörte man über
Jeffrey und Lockhart, die Kritikgötzen
der »Edinburgh Review«, selbst Lessings
Urtheilen über Voltaire merkt man per-
sönliche Verstimmung an. Wie weg-
werfend lehnte Lessing »Werther« und
»Götz« ab! Er deckte sich hier mit dem
Verdict Friedrichs des Großen, der auch
das soeben ausgegrabene Nibelungenlied
»keinen Schuss Pulver wert« fand. So
dachte der größte Held deutscher Nation,
selbst durchaus dichterisch angelegt und
in französischen Versbeichten ein heroischer
Lyriker, über das größte Heldenlied. So
»kritisierte« der Prophet einer kommenden
deutschen Literaturblüte die genialsten
Erstlinge eines Weltdichters und unser
größter Kritiker schloss sich ihm an. Das
sollte doch jeden stutzig machen.
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Aber nicht nur die Kritik im einzelnen,
sondern auch die allgemeine Ästhetik
hantiert nur mit relativen Werten. So
gravitätisch sie von ewigen Regeln und
Schönheitsbegriffen fabelt, jeder ihrer
Paragraphen ist verdächtig. Denn auch
die Ästhetik wechselt immerfort von
Aristoteles zu Boileau und Gottsched, zu
Schopenhauer und Hartmann in ihren sub-
jectiven Begründungen, obgleich sie stets
nur aus Altem, schon Gewesenem schöpft
und das Neue nicht formulieren kann.
Gerade die genialsten und eigenartigsten
Schöpfer entschlüpfen ihrem Regelnetz.
Von altersher hat man sich ans
Classificieren gewöhnt und Lyrik, Epik,
Dramatik als gesonderte Gebiete be-
trachtet, denen man verschiedene zeit-
liche Reihenfolge und verschiedenen Wert
zusprach. Danach wäre Lyrik die früheste
und zugleich unterste Kunstform, aus ihr
entwickelt sich die Epik und zuletzt kommt
das Drama als Spitze. In Wahrheit
stimmt diese naive Anordnung keines-
wegs. Denn alle Völker hatten bereits
ihre Epik hinter sich, ehe die Blüte ihrer
Lyrik begann, und das Drama trat keines-
wegs ohne weiteres als spätere Voll-
endung auf. Shakespeare kam lange vor
Milton und Byron, Corneille lange vor
Musset und Hugo, das Schiller’sche Drama
kam gleichzeitig mit der Goethe’schen
Lyrik, das Calderon’sche gleichzeitig mit
Cervantes’ Epik. Schon aus der Gegen-
überstellung solcher Dichternamen ergibt
sich aber die Absurdität, dem Dramatiker
an sich einen Vorrang zuerkennen zu
wollen. Mit der alleinigen Ausnahme
Shakespeares hat kein moderner Dichter
in seiner vaterländischen Literatur den
ersten Rang als Dramatiker erklommen,
vielmehr wird kein Vernünftiger mehr
Schiller neben Goethe stellen, und der
»Don Quixote« wird alle Dramen Cal-
derons, so bedeutend sie für ihre Epoche
waren, überdauern. Musset und Hugo
bleiben für den Kenner noch hervorragende
Poeten, wenn Corneille und Racine nur
noch ihr traditionelles Ansehen als »Clas-
siker« hinfristen. Bei anderen Nationen
hat das Drama überhaupt sich nicht ent-
wickelt. Wenn man die großen russischen
und polnischen Epiker hierfür nicht als
Beispiel gelten lässt und aus dem Mangeln
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