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Richardson, Fielding, Smollet sind wohl
Erzähler, aber kaum Romanciers in
unserem Sinne. Erst mit Walter Scott
beginnt der Roman als kunstvolle Er-
zählung in dichterischer Composition, erst
mit Bulwer, George Sand, Balzac, Sue,
Dickens und Thackeray der moderne
Sittenroman im eigentlichen Sinne. Er
ist also nur 100, beziehungsweise 50 Jahre
alt, und sein erstaunlicher Aufschwung
trug ein ganz neues Gepräge in die
Literatur hinein. Dass er dem allgemeinen
Interesse am meisten entsprach, steht
außer Zweifel; dass dies Interesse aber
nicht ästhetisch-artistisch genannt werden
dürfe, ebenso. Denn der Leser sucht beim
Roman nicht Erhebung wie bei der Poesie,
sondern Unterhaltung schlechtweg. Dieses
ganz egoistische Interesse entpuppt seine
volle Subjectivität schon in der unablässig
steigenden Vorherrschaft des »modernen«,
der Geringschätzung des historischen
Romans. Wo letzterer bei Freytag,
Scheffel, Ebers und Dahn kurzlebige
Triumphe feierte, lag ein durchaus ba-
nausisches Mode- und Verbildungsgethue
zugrunde, ein neugieriges Wissensprunken
pseudo-ästhetischer Theezirkel, und zu-
gleich ein plumper Chauvinismus, der
sich auf die vornehmen Vorfahren der
plötzlich groß gewordenen Neudeutschen
etwas zugute thun wollte. Dagegen giengen
früher die thatsächlich genialen Wieder-
belebungsversuche, die Wilibald Alexis
mit der Brandenburgischen Geschichte
anstellte, spurlos vorüber, weil die reali-
stische Wahrhaftigkeit darin den süßen
Lesepöbel abstieß, und es verdient be-
sondere Beachtung, dass der größte Meister
anmuthiger Erzählung, Walter Scott,
heute nirgends mehr bewundernde Leser
findet, sondern zur Lectüre für die Jugend
verdammt wird. Hier handelt es sich
nämlich nicht um die eigentliche dich-
terische Bedeutung Scotts, die freilich
einst arg überschätzt wurde, um die
ängstliche Zahmheit und Conventionalität
seiner blassen Liebesgeschichten, obschon
auch hier in Diana Vernon (»Rob Roy«)
ihm ein Meisterstück von Frauen-Charak-
teristik gelang, um die relative Unrichtig-
keit, d. h. Idealisierung seines Mittelalters
trotz sonstigem derben Realismus, z. B.
seiner gälischen Hochländer-Typen, son-
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dern was ihn dem modernen Lese-
pöbel so langweilig macht, das ist erst
recht sein wirklich Bedeutendes, seine
poetische Verklärung der Historie, seine
schöne, homerische Ruhe des Vortrages,
die Abwesenheit alles gemein Sinnlichen,
Wüsten und Bizarren. Man missverstehe
uns nicht: Gerne sprechen wir den Ver-
tretern des modernen Romanes eine
größere Kraft der Seelenschilderung, eine
feinere Ausdeutung des Psychologischen
zu. Aber wir zweifeln, dass beim Durch-
schnittsleser diese künstlerischen Vorzüge
entscheiden. Vielmehr spielt hier die
geistige Faulheit des Philisters mit, sich
in Verhältnisse fremder und höherer
Sphären hineinzudenken, er will wie der
Affe nur sich und seinesgleichen im Spiegel
sehen und hat eine kindische Freude daran,
wenn der äffische Nachahmungstrieb seine
trivialen Leiden und Freuden ihm vor-
führt oder ihm gewissermaßen poetische
Zeitungs-Feuilletons über »Probleme« der
Gegenwart vorgelegt werden. Auch täuscht
sich kein Wissender darüber, dass ebenso
bei Verwerfung des Verses und Bevor-
zugung realistischer Prosa nirgendwie
ehrliche ästhetische Überzeugung das
Publicum beeinflusst. Nein, der Vers als
»Sprache der Götter« ist und bleibt dem
Alltagsmenschen unangenehm. Was er
allein begreifen kann, nämlich die banaleren
Seiten und Einzelheiten des Klein-Lebens —
im Gegensatz zum Groß-Leben heroischer
Naturen und Ideen oder ungewöhnlicher
Leidenschaften — fügt sich der Versform
nicht ein. Das war zu allen Zeiten so;
Kotzebue, Iffland oder heute schon dem
Namen nach verschollene Romanschmierer
hatten zur Zeit der deutschen Classiker ein
unendlich größeres Publicum als Goethe, und
was Wielands Versen ihre Popularität ver-
schaffte, war lediglich ihre schlüpfrige
Unsittlichkeit. Leugnen lässt sich freilich
nicht, dass von Anfang bis Mitte dieses
Jahrhunderts der Sinn für Vers-Poesie einen
Aufschwung nahm. Wir heute »können
überhaupt keine Verse lesen« oder, wie
jemand einmal so schön sagte: »Wenn
ich einen Vers sehe, muss ich schon
lachen«; unsere Väter und Großväter aber
verdauten mit Andacht sogar so lang-
athmige Vers-Schilderungen wie Lamar-
tines »Jocelyn«, wie Moores »Lalla Rookh«,
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